Hilfe, die Wokies kommen!

Der hallesche Streit um “Wokeness” läuft auf eine Entflechtung der linken Szene hinaus

von | veröffentlicht am 10.07 2022

Beitragsbild: Dani Luiz | CC BY 2.0

Die Angst vor “Wokeness” scheint die Republik zu bewegen. Egal ob Ulf Poschardt, Fynn Kliemann oder Gruppen hallescher Ideologiekritiker:innen – man befindet sich im Ausnahmezustand. Warum es dabei nicht auf die Argumente, sondern nur auf das Setting ankommt und womit sich die hallesche Linke endlich einmal auseinandersetzen sollte, soll in diesem Text ausgeführt werden.




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In der deutschen Öffentlichkeit wurde “Gamergate” nie beendet. Was in den 2010er-Jahren in den USA als Krieg der vermeintlich Aufrechten gegen die “Social-Justice-Warriors” (SJW) zur Verteidigung der Gaming-Szene begann, ist auch in Halle einer, der als Kulturkampf nur zu gerne aufgegriffen wird. Die Diktion unterscheidet sich kaum, genauso wenig wie die Methoden. Vom Springer-Verlag bis hin zu Teilen der halleschen Antifa-Szene wird ganz ideologiekritisch vor der Machtübernahme des “woken Mobs” gewarnt.

Beginnen wir mit dem Basics: Was als Gamergate bekannt wurde, waren vermeintliche Enthüllungen gegen Journalist:innen, die angeblich aus persönlichen und/oder politischen Motiven Spiele hochgeschrieben hätten – der Vorwurf: Insbesondere Frauen und queere Personen korrumpieren die heile Männerwelt. Von diesem Angriff ging es dann weiter, danach wurden feministische Akteur:innen beleidigt und bedroht, jeder Hinweis auf sexistische oder queerfeindliche Motive im Gaming wurde zum Angriff auf Freiheit und Selbstbestimmung umgedeutet. Rechte und konservative Akteur:innen schalteten sich genauso ein wie besonders kritische Kritiker:innen derjenigen, die etwas verändern wollten.

Heute ist daraus eine weltweite und recht heterogene Bewegung geworden. Die Grundlagen sind aber überall dieselben. Aus den SJWs ist inzwischen der “woke Mob” geworden, wahlweise auch “woko haram” (in zynischer Anlehnung an eine islamistische Terrorgruppe in Nigeria) oder die “woke Linke”. Beliebt ist der Vergleich mit Nazis, die ja auch damals schon andere unterdrückt hätten. Deswegen feiern Extremismus- und/oder Totalitarismus-Doktrin in diesem Diskurs fröhlichste Umstände, schließlich lässt sich damit perfekt deutlich machen, dass irgendwie doch alles dasselbe ist. Die selbsterklärten Kämpfer:innen gegen diese Bewegung bevorzugen aber den Begriff des Totalitarismus, der es ihnen erlaubt, sich nicht im Kampf gegen die vermeintlichen Ränder der Gesellschaft zu wähnen, sondern gegen ihr Zentrum. Das war auch Kern der Debatte über Gamergate und ist es jetzt in der Debatte über “Cancel Culture” und den “woken Mob”: Die (Spiele-)Industrie, der Journalismus und der Aktivismus hätten sich verschworen, um die schweigende Mehrheit, die Normalen und Vernünftigen zu marginalisieren. Der Anspruch, die Gaming-Szene für marginalisierte Gruppen erträglicher zu machen, wird aufgrund der angenommenen Übermacht der Akteur:innen zur weiteren Erniedrigung der weißen und männlichen Stammkundschaft im Speziellen, der gefühlten Alteingesessenen im Allgemeinen.

Dabei kann sich das Setting verändern, die Struktur der Argumente tut es nicht mehr. Egal ob es um die M-Apotheken, den Namenspatron der MLU oder die Thematisierung von geschlechtlicher Vielfalt bei der “Sendung mit der Maus” geht – immer will eine Übermacht dafür sorgen, dass man dieses oder jenes jetzt auch nicht mehr sagen darf. Mit der geschlechtlichen Vielfalt soll das “Normale” gecancelt werden, mit der Verbannung rassistischer oder antisemitischer Positionen und Symbolen aus dem öffentlichen Raum gleich ein Teil der Vergangenheit. “Woke” wird in dieser Diktion zum Kennzeichen für Wahn, jede Verständigung wird dadurch bewusst verunmöglicht, jedes Zugehen auf die vermeintliche totalitären Angreifer:innen logischerweise auch.

AK Szenespaltung

besteht aus Studierenden der MLU, die eine kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen “anti-woken“ Agitation in der linken Szene einfordern und diese vorantreiben wollen.

Schnittmengen im Kampf gegen “Wokeness”

Die Allgegenwart dieser Motivlage, die im akademischen Bereich z.B. vom “Netzwerk Wissenschaftsfreiheit” mit Vehemenz verwendet wird, zeigt sich auch in der halleschen Szene der Ideologiekritiker:innen. Schon deutlich vor dem StuRa-Auflösungsantrag gegen den “Arbeitskreis Antifaschismus”, der sich durch die Debatte in seinen Warnungen vor der Cancel Culture nur bestätigt sieht, ging es stets gegen feministische und antirassistische “Sprechverbote”. Die konservative FAZ hat diese Position begeistert aufgenommen und natürlich ebenso vor Cancel Culture gewarnt. Denn die hallesche Debatte ist nicht vom Bundestrend zu entkoppeln und damit auch nicht rationaler als der “Woke Scare” woanders. So hat die Facebook-Seite “Solidarität in Halle” zuletzt dazu aufgerufen, dass der “Queer-Ideologie mit all ihren Auswüchsen” Einhalt geboten wird. Bezug genommen wurde in diesem Post auf den Blog von Eva Engelken, ihres Zeichens grüne Genderkritikerin und Gegnerin eines möglichen Selbstbestimmungsgesetzes für Trans*Personen (“Self-ID”). Sie ist sicher, dass es einen “Trans-Hype” gäbe und dass der Öffentliche-Rechtliche Rundfunk (ÖRR) diesen mit einer bewussten Falschberichterstattung gegen “biologische Tatsache” forciere. Unter den Tisch fällt alles, was die wissenschaftliche Qualifikation der Juristin aus Mönchengladbach in Zweifel ziehen könnte – so zum Beispiel ihre Unterstützung für Corona-Demos oder ihr Einsatz gegen “schrankenlose Willkommenskultur”. Ihre sonstigen Positionen sagen wenig über die Position der Seite “Solidarität in Halle” an sich aus, aber viel über das Vorgehen: Ganz offensichtlich ist die Wahl der Verbündeten nebensächlich, wenn man sich gegen “Cancel Culture” verteidigen muss. Das Problem ist hier wohl vor allem, dass die Schnittmenge zwischen denen, die vor dem “woken Mob” warnen und denen, die Migration, Klimaschutz, Antirassismus oder Corona-Maßnahmen mindestens einmal übertrieben finden, extrem hoch ist.

Während man in den halleschen Kommentarspalten durchaus liest, dass einem genderkritische Corona-Leugner:innen durchaus lieber wären als die “autoritären Moralisten” der Gegenseite, findet man in der offiziellen Debatte einen Punkt wieder, der auch Gamergate geprägt hat. Während man “den Feind” als den Untergang der eigenen Kultur und Zivilisation brandmarkt, möchte man dann doch keine Verantwortung für die Ritter übernehmen, die am Ende gegen den Mob ausziehen – also in den Kommentarspalten (mutmaßlich) bedrohen und beleidigen. Und davon gibt es in dieser Debatte genug, wie zum Beispiel die Morddrohung gegen Grüne Hochschulgruppe Halle und Offene Linke Liste MLU zeigt. Auch die ständigen Beleidigungen, die das Transit-Magazin teilweise dokumentiert hat, belegen dies deutlich. Der Kampf gegen den Queerfeminismus heiligt bei einigen ganz offensichtlich die Mittel.

Dabei steht außer Frage, dass es auf der (mutmaßlich) queerfeministischen Seite des Konfliktes genug Dinge gibt, die zu kritisieren sind. “Terfs boxen!” (Terf = Trans-exclusionary radical feminist) auf den Wänden linker Hausprojekte sind abzulehnen, genau wie die klar zu verurteilende Farbangriffe auf das Frauenzentrum DornRosa und den Linken Laden. Während auf Facebook die Kommentarspalte der Ideologiekritiker:innen vor Hass überkocht, gibt es drüben auf Twitter zu viele, die ihre Gewaltfantasien mit der falschen Gleichung “Terfs = Nazis” legitimieren wollen. Dass diese Gleichung nicht aufgehen kann, sieht man auch daran, dass Nazis wohl vieles sind, aber sicher keine Radikalfeminist:innen, selbst wenn man den Begriff so sehr strapaziert wie die EMMA es tut. Während wir die oben erwähnten Aktionen klar und deutlich verurteilen und auch zur Kenntnis nehmen, dass es bereits Distanzierungen davon gab, zeigt sich doch, dass diese Aktionen jenseits berechtigter Kritik zur Grundlage dafür gemacht werden, den Hass auf jede Form queerfeministischer Aktivität in Halle zu verstetigen. Die Debatte wird schon dadurch radikalisiert, dass man auf die falsche Gleichung mit einer reagiert, die genauso falsch ist. “Terfs” sind in dieser Vorstellung vor allem Frauen, der Hass auf diese also notwendigerweise Frauenhass, fertig ist der Vorwurf einer “misogynen Transszene” – was nicht zusammenpasst, muss eben passend gemacht werden.

“Die Steimles von morgen“ – Totalitarismustheorie 2.0

So verkündete die AG NTFK (No Tears For Krauts), Kooperationspartnerin der AG Antifa und der Zeitschrift Bonjour Tristesse (BT), schon im April stolz, dass man die Demonstration “Raise Your Voice Against Terfs” gestört habe. Im Text dazu finden sich die üblichen Motive. Nicht nur seien die queeren Personen keineswegs unterdrückt, vielmehr unterdrücken sie als “middle class kids” alle Zweifler:innen. Die “woke Transszene”, so die Behauptung, sei eine Mittelschichtsbewegung zur Unterdrückung von Frauen – Argumente und Belege fehlen gänzlich, vom ideologiekritischen Dreischritt (siehe Text I) geht es direkt zur freien Assoziation. Interessanter ist dabei, dass die AG NTFK als “Verfolgte” der “verfolgenden Unschuld” auftritt, als die wahre Frauenrechtsbewegung gegen die Zumutungen des an anderer Stelle so genannten “wütenden, dauerbeleidigten Mobs”. Während man gleichzeitig also total marginalisiert ist, muss man sich doch über die “Wokies” lustig machen – schließlich muss die AG NTFK im Selbstbild dann doch haushoch überlegen sein. So wird im Demo-Bericht auch sehr stolz davon berichtet, dass man die Führung der Demo übernommen und sie dann selbstbestimmt verlassen habe. Immerhin körperlich ist man den Mittelschichtskids noch überlegen, auch wenn sie über beste Kontakte zur Presse, zur Politik und zur Weltherrschaft verfügen mögen.

Bei der AG NTFK handelt es sich also nicht um irgendwelche Kumpels, die mal queere Veranstaltungen stören, sondern um antifaschistische Held:innen, die nach eigenen Angaben gegen ein “totalitäres Cancel-Regime” antreten und gegen den StuRa als “Vorhof der Wokeness-Hölle” kämpfen. Denn es könnte noch schlimmer werden. So haben sie beim Protest, der von Halle gegen Rechts gegen den Auftritt des menschenfeindlichen Kabarettisten Uwe Steimle organisiert wurde, deutlich gemacht, dass die “Steimles von morgen” im StuRa oder im Bündnis gegen Rechts sitzen würden und ihre Fahne gegen diesen Totalitarismus hochgehalten. Welcher Totalitarismus damit gemeint ist, wird allzu deutlich und kann nur als bewusste rhetorische Eskalation verstanden werden: “Wehret den Anfängen!” tönt es am Ende des Flyers in der Tradition derjenigen, die bei Kritik sich sicher auf die Position zurückziehen würden, damit niemals den NS gemeint zu haben. Damit könnten sie allerdings kaum erklären, wie das folgende abgewandelte Horkheimer-Zitat “Wer von der Linken nicht reden will, sollte auch von den Steimles schweigen!” dort hineinpasst, wenn nicht als gewollte NS-Analogie. Was möglicherweise ein misslungener Gag ist, ist tatsächlich aber Methode beim Kampf gegen das “Woke” – bei jeder Twitter-Kritik werden Nazi-Methoden vermutet, bei jeder Demonstration gegen einen Vortrag mindestens die StaSi und bei dem Auflösungantrag im StuRa – wie könnt es anders sein – die Anti-Antifa-Methode der StuRa-Mehrheit. Sekundiert wird in der Kommentarspalte, wo Menschen persönlich unterstellt wurde, “gefährlicher” als die von Nazis stets gute besuchte und corona-leugnerische “Bewegung Halle” zu sein, weshalb das “Doxxen” (Veröffentlichen von Klarnamen, Bildern etc.) auch notwendig geboten sei.

Entflechtung linker Strukturen in Halle

Das Ziel ist dabei ganz offensichtlich die Eskalationsdominanz: Wo für Strukturfragen nach der Existenz von Arbeitskreisen das Outing als “gefährlicher als Querdenker” droht, wo in der in linken Hausprojekten ausliegenden Zeitschrift mit “Konsequenzen” gedroht wird, wo der Kampf zwischen totalitärer Barbarei und Vorhölle auf einen und Aufklärung und Vernunft auf der anderen Seite imaginiert wird, dort ist noch viel mehr denkbar. Und auch so unterscheidet sich die Diskussion nicht von der, die sonst über “Wokeness” und “Cancel Culture” geführt wird. Es geht darum, mit bestem Wissen und Gewissen mobil zu machen und das zu verteidigen, was man als sein Vorrecht sieht – in den Redaktionsstuben von Springer, in der Gaming-Szene, in den Facebook-Kommentarspalten der genannten Gruppen. Eine Lösung dafür steht weiterhin aus. Eine ehrliche Debatte in der halleschen Linken, die klare Grenzen zum Ziel hat, wird vom AK Szenespaltung dringend empfohlen. Hinauslaufen wird es wohl auf etwas anderes – auf die Entflechtung von Strukturen und das Aussparen immer weiterer Themenbereiche, wenn man sich dann doch einmal sehen sollte. Aber aus der Panik vor den “Wokies”, vor antirassistischer, queerfeministischer und inklusiver Politik, lässt sich keine emanzipatorische Arbeit aufbauen.

Zum Weiterlesen:

https://transit-magazin.de/2022/03/studentische-cancel-culture/

https://transit-magazin.de/2022/04/raise-your-voice-against-terfs/

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.