Geht wählen!
Ein Kommentar zu selbstgefälligem Stimmenverbrennen und realen linken Wahlmöglichkeiten
Am Wahlsonntag geht es nicht um Symbolpolitik – für viele, insbesondere marginalisierte Gruppen, gibt es auch einiges zu verlieren. Und doch besteht die Gefahr, dass tausende Stimmen für „Klimaliste“, „Piraten“ oder „Die Partei“ abgegeben werden und damit CDU und AfD zu noch mehr Macht verhelfen.
Zunächst die schnöden Fakten. Egal, was für Weisheiten auf WG-Partys oder Gartenfesten rund um die 5%-Hürde immer wieder zum Besten gegeben werden, funktioniert das Wahlsystem so: Die „Sonstigen“, die in Sachsen-Anhalt nach den letzten Umfragen zusammen bei über 7% liegen, werden nach der Auszählung auf Null gesetzt. Die Sitze im Parlament werden dann auf diejenigen verteilt, die mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten haben. Und es ist eben nicht so, dass die Stimmen für die sonstigen Parteien dann im besten Fall „doch eh nichts ändern“ – sie ändern die Anteile der Parteien über fünf Prozent proportional (!) – d.h. die stärksten Parteien erhalten quasi den ihrer Stärke entsprechenden Anteil der sonstigen dazu. Was heißt das für Sachsen-Anhalt? Eine Stimme für Parteien, die bei wenigen Prozenten oder unter einem Prozent liegen und ohne jeden Zweifel nicht die 5%-Hürde erreichen werden, ist vor allem eine Stimme für die AfD, also die wahrscheinlich am Sonntag stärkste Kraft, und die CDU.
Wer mit diesem Wissen und vollem Bewusstsein trotzdem aus symbolpolitischen oder einfach egoistischen und selbstgefälligen Gründen „Die Partei“ (weil man ganz doll ironisch ist), Klimaliste (weil man noch bessere*r Klimaschützer*in ist, als alle anderen), die Piratenpartei (weil man noch mehr von Datenschutz oder Digitalisierung versteht, als alle anderen) oder andere wählt, der soll das tun. Ihm oder ihr ist nicht mehr zu helfen. Das heißt nicht, dass die Klimaliste mit ihrer Forderung nach mehr und konsequenterem Klimaschutz nicht sympathisch ist, es heißt nur, dass die einzigen, die real im Landtag den besten Klimaschutz einfordern und teilweise sogar schon umsetzen konnten, bisher die Grünen sind. Gerade eine Stimme für die Klimaliste (oder „Die Partei“, oder die Piraten) würde die Grünen und damit den Klimaschutz ganz konkret und real schwächen und die Leugner*innen des menschengemachten Klimawandels in AfD und CDU stärken. Es heißt ebenfalls nicht, dass die Piratenpartei nicht immer wieder auch gute Impulse in den Bereichen Datenschutz und Digitalisierung setzt, es heißt nur, dass die einzigen, die dieses Thema bisher real im Landtag progressiv bearbeiten, die Grünen (Stichwort Datenschutzbeauftragter, Digitalisierungsprogramm) und auch die Linken sind. Die würde man mit einer Stimme für die Piraten oder die anderen kleinen Parteien ganz konkret und real schwächen. Und es heißt ebenfalls nicht, dass der Politikbetrieb nicht oft nur mit Mitteln der Ironie und des Sarkasmus zu ertragen ist, und dass ein Sonneborn nicht regelmäßig im Europäischen Parlament den Stachel gesetzt hat. Doch im Gegensatz zum Stadtrat in Halle, der ungleich weniger bedeutend ist, und wo klar war, dass die Wahl der „Partei“ zu einem tatsächlichen Mandatsgewinn verhelfen würde, ist eine Stimme für diese bei Landtagswahl nichts weiter als irrationaler Klamauk und eine Stimme für den Status quo.
Welche Partei ist für Linke wählbar?
Wen wählen also aus linker Sicht? Sicherlich nicht die SPD, die trotz einer peppigen und bunten Pop-Art-Kampagne mit einigen jüngeren Kandidat*innen immer noch das sind, was sie in den letzten Jahren waren. Eine machtverliebte Partei ohne wirkliches Rückgrat, die noch jede Sauerei mitmachen, solange sie ein paar Ministerien dafür bekommen und sich staatstragend geben können. Dass sie in Sachsen-Anhalt sich noch weniger „links“ gerieren, als Teile der Bundes-SPD, und dass die progressivsten Anträge und Anfragen aus den Regierungsfraktionen überwiegend von Grünen und nicht von sozialdemokratischen Abgeordneten kamen, spricht für sich. Daran ändert auch die Symbolpolitik nichts, etwa, wenn man versucht, das Integrationsthema zu besetzen und sich mit vermeintlichen Migrant*innenvertreter*innen umgibt. Denn redet man mit antirassistischen und Geflüchtetenaktivist*innen, hört man schnell, dass hinter regressiven Politiken, unmenschlichen Realitäten in Massenunterkünften in Halberstadt und anderswo und der Nicht-Aufnahme von zusätzlichen Geflüchteten –etwa von den griechischen Inseln– auch die SPD steht. An der Basis, „on the ground“, standen in den letzten Jahren ausschließlich einige Grüne und Linke an der Seite von Geflüchteten.
Die Schwächung der Grünen und eine daraus resultierende „Deutschland-Koalition“ aus CDU, SPD und FDP, wie sie schon im Gespräch ist, wäre eine Katastrophe – nicht nur für die marginalisierte Gruppen, wie Geflüchtete. Sondern ein schwarzer Tag auch für sozial Benachteiligte, die von den zu erwartenden neoliberalen Politiken, denen sich die SPD im Austausch für eine Beteiligung an der Macht fraglos anschließen würde, betroffen sein würden. Das Thema Klimaschutz würde in einer Deutschland-Koalition ebenfalls weitgehend beerdigt werden.
Linker Pragmatismus oder „Deutschland-Koalition“?
Dies wirft für linken Pragmatismus im Angesicht des schwarz-blauen Wahlerfolges ein weiteres Dilemma auf. Die Partei „Die Linke“ hat es eigentlich geschafft, neben antifaschistischen auch soziale Themen prominent und in einer modernen Wahlkampagne zu platzieren. Das Thema der Nachwendetransformation, der anhaltenden sozio-ökonomischen Folgen eines fatalen Wendeprozesses, für den Treuhand, plötzliche Massenarbeitslosigkeit, Massenabwanderung und kaputte Lebensgeschichten stehen, wurde sinnvoll zum Thema gemacht, vom peinlichen und unhaltbaren „Wessi-Plakat“ abgesehen. Und überhaupt ist die Landtagsfraktion, sind Abgeordnete wie Eva von Angern oder Henriette Quade integer, kompetent und progressiv. Eine Stimme für sie wäre und ist also eine gute linke Option.
Bleibt die Frage nach der „Deutschland-Koalition“. Um diese zu verhindern, braucht es starke Grüne, sie waren und wären weiterhin das letzte Korrektiv für Rechtsstaatlichkeit. Sie waren die einzige Regierungsfraktion, die (teilweise erfolgreich) progressive Impulse innerhalb der Regierung gesetzt haben. Sie haben die Polizeikennzeichnungspflicht durchgesetzt, eine massive Reduktion des CO2-Ausstosses auf Landesebene forciert und in einer Situation, als der Oury-Jalloh-Untersuchungsausschuss politisch nicht umsetzbar war, da im Zweifelsfall nur von Linken und Grünen gestützt, zumindest die Sonderermittler gegen den Widerstand der CDU durchgedrückt.
Linke Optionen sind sowohl die Stimmabgabe für die Linken, als auch für die Grünen. Will man realpolitisch und strategisch wählen und die Grünen in der Regierung halten, müsste man aber diesen zumindest die Zweitstimme geben. Das alles ist natürlich auch eine Besonderheit des Bundeslandes und gilt keinesfalls für den Bund. In Sachsen-Anhalt muss man sich im Falle dieser (pragmatischen) Wahl nämlich wenigstens nicht die Nase zu halten