Gedichte

Grafik: Julia Syndram

WIR WERDEN NICHT MÜDE

Wir werden nicht müde uns nach Haus zu wünschen
Und sind zu Haus nie mehr zu Haus
Wir werden nicht müde uns fort zu wünschen
Und keiner weiß wohin mit uns

Und wollen schlafen träumen
Endlos auszuruhen
Die Dinge auszuräumen,
Die wir tun

Wir werden nicht müde uns Kinder zu wünschen
Und sind wie ein Kind so müde geworden
Wir werden nicht müde uns ein Leben zu wünschen
Und sind vom Leben, so müde… so müde geworden

Und nichts ist außer uns, das das große Nichts umfängt
Und keiner, der sein Leben bis zu Ende denkt
Und nichts ist in uns drinnen, das das große Nichts bezwingt
Wir leben wie von Sinnen, weil das Nichts dann schöner klingt

Und wollen schlafen träumen
Endlos auszuruhen
Die Dinge auszuräumen
die wir tun
Und wollen schlafen träumen
Endlos auszuruhen
Die Dinge auszuräumen
die wir tun

IM FREIEN FALL

das war das ganze leben
und springt zum fenster raus
atem holen geben
und fallen und fallen – ein kind gewesen
und kommt nicht mehr nach haus
du malst dein leben aus

durch die jahre rennen
was kann ein junge hoffen,
als flure blind zu kennen?
das fenster und der leere himmel,
die standen immer offen…
was kann ein junge hoffen?

die wolken noch zu sehen
sekunden nur vielleicht
um nie mehr aufzustehen
und eine von den stimmen sagt:
du hast dein ziel erreicht
du hast es, doch nur vielleicht

das letzte mal zu springen
und noch im freien fall
ein kinderlied zu singen
und lauter lauter in den ohren
rauschen, dann ein knall –
dann bist du überall

SCHÖNE KALTE SONNE

schöne kalte sonne
scheint dir ins gesicht
ein punkt ist das ende
zu ende ist es nicht
ein strich sind deine augen
wenn sie niedersehen
schöne kalte sonne
wirst nicht untergehen

vom morgen bis zum abend
hast du an sie gedacht
sie folgt in jeder richtung
und leuchtet in der nacht
spring nur im quadrat
und drehe dich im kreis
es gibt wohl kein entrinnen
was nur die sonne weiß

und trittst du weit genug
zurück wird deine sonne
ein kleiner schwarzer punkt
schöne kalte sonne
scheint dir in die augen
sie wollen nichts mehr sehen
und sie kann nur in dir
in dir untergehen

LETZTE TAGE

Wenn deine Großmutter stirbt
dann geh in ihren Garten
Und wenn dein Großvater stirbt
dann nimm dir seinen Spaten
Gräbst du ihren Acker um
zwischen Gras und Sand
hinter den Mauerresten
lag ein ganzes Land

Trage ihren Krempel
Unterm Hemd nach Haus
denn du findst ja selber
zum Gartentor hinaus.
Feg die letzten Reste
unter einen Stein
als wär das Ziel von allen
gestorben zu sein

Und wenn deine Mutter stirbt
dann gehst du in ihr Zimmer.
Und wenn dein Vater stirbt
dann suchst du ihn noch immer
Hältst in den Spiegel ihre Kleider
die als Mädchen sie trug
Suchst in einem Brief die Orte,
in die es ihn verschlug

Trage ihren Krempel
Unterm Hemd nach Haus
denn du findst ja selber
zum Gartentor hinaus.


Über Daniel Elias

Daniel Elias lebt als Gärtner und Musiker in Halle (Saale).

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