„Gedenkorte statt Erinnerungslücken“
Die „Initiative 12. August“ lädt zum Gedenken an Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra nach Merseburg ein
Am 12. August jährt sich der Todestag von Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra zum 44. Mal. Die beiden Kubaner, die als Vertragsarbeiter in die DDR kamen, starben im Alter von 21 und 19 Jahren bei einer rassistischen Hetzjagd. Die „Initiative 12. August“ setzt sich seit 2019 für ein öffentliches Gedenken am Tatort, der Neumarktbrücke in Merseburg, ein. Zum ersten Mal werden auch Angehörige an der Gedenkveranstaltung vor Ort teilnehmen.
Vor vier Jahren wandte sich die „Initiative 12. August“ mit einem offenen Brief an den Oberbürgermeister Merseburgs, in dem die Stadt dazu aufgefordert wird, einen öffentlichen Gedenkort für Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra zur Verfügung zu stellen. 40 Jahre zuvor waren die beiden kubanischen Vertragsarbeiter bei einer rassistischen Hetzjagd an der Neumarktbrücke in Merseburg ums Leben gekommen. Die genauen Todesumstände wurden bis heute nicht aufgeklärt, Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen. Dabei lassen Beschreibungen des Tathergangs wenig Zweifel daran, dass der Tod Raúl Garcia Parets und Delfin Guerras bewusst in Kauf genommen, wenn nicht direkt durch die Angreifer*innen verursacht wurde. Wie der Historiker und Sozialforscher Harry Waibel in einem Gastbeitrag auf der Seite der „Initiative 12. August“ schreibt, wurden die beiden Kubaner zusammen mit anderen Vertragsarbeitern von einem Mob „von etwa 30 bis 40 Deutschen“ verfolgt. „Da ihnen von Deutschen, die auf der Brücke standen, dieser Weg versperrt wurde, sprangen sie in die Saale. Mehrere Deutsche, die auf der Brücke und am Ufer standen, bewarfen schwimmende Kubaner mit ‚Weinflaschen‘ und ‚Ziegelsteinen‘.“ Die zu diesem Zeitpunkt 19- und 21-Jährigen starben am 12. August 1979 in der Saale. Ermittlungen zum Tathergang seien noch im selben Monat auf Weisung des Ministeriums des Inneren (MdI) eingestellt worden, so Waibel, um die „brüderlichen Beziehungen“ zwischen der DDR und dem sozialistischen Karibikstaat nicht zu gefährden. Die Hinterbliebenen in Kuba wurden über die Todesumstände ihrer Familienangehörigen in Deutschland über lange Zeit hinweggetäuscht.
Weitere Beiträge zum Thema sind in der Rubrik „Die doppelte Mauer – Rassismus von DDR bis heute“ nachzulesen.
Erst durch wiederholte Berichte des MDR und die Arbeit der Initiative erfuhren Angehörige von Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra von den tatsächlichen Umständen, unter denen beide zu Tode kamen. Die Reportagen von Christian Bergmann und Tom Fugmann, in denen verschiedene Zeug*innen, Betroffene, aber auch mutmaßliche (Mit-)Täter*innen zu Wort kommen, brachen mit dem Pakt des Schweigens, in den sich die Merseburger Dominanzgesellschaft und ihre Täter*innen eingehüllt hatten. Auch auf politischer und juristischer Ebene zeigte die mediale Aufmerksamkeit zunächst Wirkung. Die Staatsanwaltschaft Halle lehnte jedoch 2016 eine Wiederaufnahme der Ermittlungen u.a. mit der Begründung ab, in dem „gesamten Geschehen keinen primär rassistischen Hintergrund“ erkennen zu können. In seiner Antwort auf den offenen Brief der „Initiative 12. August“, der von 24 zivilgesellschaftlichen Institutionen und über 250 Einzelpersonen unterzeichnet wurde, berief sich der damals amtierende Oberbürgermeister Jens Bühligen (CDU) auf diese Einschätzung. Die Einrichtung eines Erinnerungsortes lehnte er nach Angaben der Initiative mit dem Verweis ab, es handele sich bei Berichten über ein rassistisches Tatmotiv um „bloße Mutmaßungen“. Ein zwischenzeitlich in der Nähe des Tatorts angebrachtes Wandbild, das die Namen und Porträts Raúl Garcia Parets und Delfin Guerras zeigte, hat die Stadt binnen weniger Wochen entfernen lassen. Eine Klage der Staatsanwaltschaft Halle gegen die mutmaßlichen Urheber*innen des Wandbildes wurde im Mai 2021 vor dem Amtsgericht Merseburg eingestellt.
Die „Initiative 12. August“ hält weiterhin an ihren Forderungen nach Aufklärung und einem selbstbestimmten, öffentlichen Gedenken an Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra in Merseburg fest. Die diesjährige Gedenkveranstaltung steht erneut unter diesem Zeichen. Unter dem Motto „Gedenkorte statt Erinnerungslücken“ ruft die Initiative für den Samstag, 12. August, 16 Uhr, zu einer Kundgebung am Entenplan in Merseburg auf. Zum ersten Mal werden mit Yasmani T. Guerra und Alexander C. Guerra auch Angehörige der Verstorbenen vor Ort sein. Beide werden eigens für die Veranstaltung aus Kuba anreisen. Außerdem wird die renommierte Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und langjährige Aktivistin Peggy Piesche an der Kundgebung teilnehmen und über Rassismus in der DDR und Ostdeutschland sowie über den Widerstand dagegen sprechen. Im Anschluss an die Kundgebung wird, wie bereits in den Vorjahren, eine Gedenkveranstaltung an der Neumarktbrücke stattfinden.