Gedenken in schwierigen Zeiten
Fünf Jahre nach dem Anschlag in Halle und Wiedersdorf
Neben der offiziellen Gedenkveranstaltung der Stadt, fanden am fünften Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags in Halle und Wiedersdorf auch mehrere Veranstaltungen zivilgesellschaftlicher Organisationen statt. Wie Überlebende und Hinterbliebene auf das Attentat zurückblicken.
Als am Nachmittag der Gedenkrundgang des Bündnisses „Halle gegen Rechts“ am Steintor beginnt, sind einige offizielle Programmpunkte des Tages bereits vorbei.
So begann das Gedenken an den antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Anschlag vom 9. Oktober 2019 in Halle und Wiedersdorf bereits gegen 12 Uhr. Die jüdische Gemeinde hatte zu einer Gedenkveranstaltung in die Synagoge im Paulusviertel, einem der Tatorte, geladen. Um 12:03 Uhr, dem Zeitpunkt der ersten Schüsse, wurde mit einer Schweigeminute der Opfer gedacht, auch alle Straßenbahnen standen still.
Gegen 15 Uhr besuchte der Bundespräsident zunächst etwa 45 Minuten das TEKİEZ und etwa eine Stunde später mit weiteren Politikern die Synagoge. An beiden Orten sprach er mit Vertreter*innen und legte Blumen nieder.
Anschließend kehrte der Rundgang zum Steintor zurück, wo in Redebeiträgen der Tattag in Landsberg-Wiedersdorf rekonstruiert und ein Interview mit Überlebenden aus dem Ort vorgelesen wurde. Es wurde deutlich, dass der Täter nur durch seine teils defekte Waffe kein größeres Blutbad anrichten konnte. Ein angeschossenes Opfer klagte über starke Schmerzen, die plötzlich und an sehr verschiedenen Stellen aufträten. Weiterhin wünschte sich das betroffene Ehepaar, dass es ihnen nicht finanziell schlechter gehe als vor der Tat und zeigte sich enttäuscht vom Umgang des Staates mit den Opfern. So sei z.B. ein Treppenlift nur dank der finanziellen Unterstützung der Hilfsorganisation „Weißer Ring“ anzuschaffen gewesen. Dementgegen stünden hohe Kosten, die für den Gefängnisaufenthalt des Täters durch den Staat aufgebracht würden. Auch das Auftreten des zunächst einzigen Polizisten am Tatort wurde angeprangert.
Gegen 17:45 endete der Gedenkrundgang schließlich vor dem TEKİEZ, nachdem er aufgrund des Besuchs des Bundespräsidenten nicht an der Synagoge vorbeilaufen durfte. Der Besuch war zu diesem Zeitpunkt bereits seit etwa einer Stunde vorbei.
Gegen 18 Uhr begann die Gedenkkundgebung vor dem ehemaligen Kiez-Döner in der Ludwig-Wucherer-Straße. İsmet Tekin, ein Überlebender des Anschlags, bedankte sich in seiner Rede bei Bundespräsident Steinmeier. Er sehe nicht, dass die hallesche Politik und Zivilgesellschaft wach werde. Weiterhin rief er sehr eindringlich zum Handeln auf, um unter anderem der AfD Einhalt zu gebieten. Tekin habe immer gehofft, dass solche Taten nie wieder passieren, sie seien aber passiert. Deswegen hoffe er, dass mehr Menschen auf die Straße gingen. Man könne alles schaffen und die Guten würden gewinnen.
Auch der Bruder von Oury Jalloh sprach auf der Gedenkkundgebung: „Ich verstehe, dass dieser Tag ein trauriger Tag ist und verstehe die anwesenden Opferfamilien. (…) Wir haben das Recht zu leben und niemand hat das Recht, es uns zu nehmen.“ Er wünsche allen Kraft, rief zu mehr Mut auf und bedankte sich für das zahlreiche Erscheinen.
Zudem sprach die Mutter eines Opfers des Münchener Anschlags im Jahr 2016. Ihre Rede in Halle habe ihr damals sehr viel Kraft gegeben und sie nehme in Gedanken Anteil. „Der Anschlag war nicht nur einer gegen die jüdische Gemeinde, sondern gegen uns alle.“, so die Hinterbliebene. Alle hätten die Verantwortung für keine weiteren Opfer. Halle sei für sie ein Ort der Kraft geworden. “ Lasst uns für eine Welt ohne Hass kämpfen in der alle Menschen gut und friedlich leben können.“, rief sie am Ende ihrer Rede auf.
Letztlich endete die Kundgebung nach über zwei Stunden mit zahlreichen Danksagungen. Trotz des teils regnerischen Wetters war die Straße vor dem TEKİEZ bis zum Ende mit einer mittleren dreistelligen Personenzahl gefüllt. Zu Spitzenzeiten beteiligten sich laut Organisator*innen ca. 600 Teilnehmende an der Gedenkkundgebung.