Für ein digitales Erinnerungsprojekt

Neues aus der Reihe Provinzeinblick: Interview mit dem Bündnis "Querfurt für Weltoffenheit"

von | veröffentlicht am 02.10 2020

Beitragsbild: Querfurt für Weltoffenheit

Am 10.10.2020 veranstaltet das Bündnis "Querfurt für Weltoffenheit" ein Vernetzungstreffen für ein digitales Erinnerungsprojekt im südlichen Sachsen-Anhalt. Im Vorfeld hat Richard Haferung mit dem Bündnis über die Inhalte des Treffens und ihre bisherige Arbeit zum Thema gesprochen.




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Wie seid Ihr auf die Idee für ein solches Projekt gekommen? 

Wir haben bereits 2018 schon einmal mit Verbrannte Orte zusammengearbeitet und finden das Projekt großartig. Aber auch das Projekt gedenkplätze.info des AKUBIZ e.V.​  ist da zu nennen. Wir verfolgen diese Arbeit schon länger und dachten uns einfach, dass es doch interessant wäre ein ähnliches Projekt für unsere Region selbst zu initiieren. Ähnlich wie Verbrannte Orte wollen wir eine Onlinekarte erstellen, in der Gedenkorte mit dazugehörigen Informationen zu finden sind.

Vernetzung und Austausch - vorteilhaft für alle Beteiligten 

Querfurt für Weltoffenheit

Wieso haltet ihr die Vernetzung in der Sache für so wichtig?

Uns ist einfach aufgefallen, dass in Mansfeld-Südharz, dem Saale- und Burgenlandkreis bereits viel Arbeit in Gedenk- und Erinnerungspolitik sowie die dazugehörigen Recherchen geflossen ist. Nehmen wir z.B. die Gedenkstätte des KZ Wansleben am See, das “Simon Rau Zentrum in Weißenfels”, die

“Geschichtswerkstatt Merseburg” oder “Erinnern und Gedenken Sangerhausen” und nicht zu vergessen den “Eisleber Synagoge e.V.” und viele mehr. Diese haben über viele Jahre sehr wertvolle Arbeit geleistet. Das einzige Problem ist, dass die Informationen teils nur auf ihren Internetseiten zu finden sind, was ja schon ein Hindernis ist, da oft keine Social-Media-Kanäle vorhanden sind. Nehmen wir das Extrembeispiel des “Heimat- und Geschichtsvereins Zöschen”, der jährlich ein “Jahrbuch” seiner Arbeiten z.B. zur Zwangsarbeit im Saalekreis veröffentlicht, aber nicht einmal eine Internetseite besitzt. Die Vernetzung finden wir dahingehend wichtig, da wir davon überzeugt sind, dass daraus viele Vorteile für die Beteiligten entstehen können. Es entstehen neue Ansatzpunkte für Recherchen, eventuell löst sich auch das ein oder andere Thema auf aufgrund bereits vorhandener Recherche anderer Gruppen. Außerdem wollen wir über Erfahrungsaustausch aus Projekten reden, über Fördermittelbeschaffung und vieles mehr.

Wie finanziert ihr das ganze? 

Die Veranstaltung am 10.10.2020 in Blösien finanzieren wir mit Hilfe des Förderprogramms “Demokratie leben!”. Dazu haben wir einen Antrag bei der lokalen Partnerschaft für Demokratie dem Netzwerk “Weltoffener Saalekreis” gestellt und auch bewilligt bekommen. Wie sich das Projekt dann weiterhin finanziert müssen wir mit den Mitarbeitenden Initiativen und Vereinen besprechen. Ein großer Teil der Arbeit lässt sich auch ohne direkten Einsatz finanzieller Mittel stemmen.

Welche Gedenk- und Erinnerungsformate habt Ihr in den letzten Jahren praktiziert? 

Als Bündnis veranstalten wir seit mehreren Jahren bereits Gedenkaktionen zum “Holocaust-Gedenktag” zu den in Querfurt verlegten Stolpersteinen und haben dieses Jahr einen Stadtrundgang zu “Querfurt im Nationalsozialismus” entwickelt, den wir bereits am 18.09.2020 zum jährlichen “Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage Fest” des Gymnasiums mit zwei 11. Klassen durchgeführt haben. Dieser wird dann noch mal am 07.11.2020 für die breite Öffentlichkeit angeboten. Darin behandeln wir neben den Personen, zu denen bereits Stolpersteine verlegt wurden, auch weitere Opfer der Nazis in Querfurt. Aber auch die Verbindungen lokaler Persönlichkeiten zum nationalsozialistischen Staat sowie das Thema Zwangsarbeit stehen im Fokus. Neben dem NS haben wir uns aber auch zusammen mit dem RATS – Kulturzentrum in Obhausen mit den Opfern rechter Gewalt im Saalekreis beschäftigt und dazu eine Onlinekampagne zum Tod von Matthias Lüders erarbeitet, der 1993 an den Folgen eines Neonaziangriffs auf eine Disco in Obhausen verstorben ist.

“Zudem fällt auf, dass diese Thematik nur einen sehr kleinen Teil der lokalen Geschichtsschreibung ausmacht.” 

Querfurt für Weltoffenheit

Was ist euch bei Euren lokalen Recherchen besonders aufgefallen? Da gibt es mehrere Aspekte. Zum einen das Ausmaß der Zwangsarbeit im südlichen Saalekreis. Wenn wir auf kleine Dörfer, wie z.B. Kleineichstädt oder Döcklitz schauen, in denen eine für ihre Größe beachtliche Anzahl an Zwangsarbeiter*innen “beschäftigt” war, fällt es schwer zu glauben, dass davon niemand etwas gewusst haben soll. Zudem fällt auf, dass diese Thematik nur einen sehr kleinen Teil der lokalen Geschichtsschreibung ausmacht. Besonders in der Nachkriegszeit hätten dazu viele Eindrücke gesammelt werden können, zum Beispiel durch Zeitzeug*innen. Oft blieben wir mit dem Gefühl zurück, mit der Aufklärung und der Aufarbeitung etwas zu spät dran zu sein. Andererseits gibt es heutzutage durch z.B. die Arolsen Archive, die bereits 75% ihrer Bestände digitalisiert haben, eine Möglichkeit Recherchen von zuhause aus zu machen und nicht Unmengen an Zeit in den Archiven zu verbringen.

Wie läuft die Recherchearbeit ab? 

Anfangs haben wir viel wild drauf los recherchiert. Über Suchmaschinen, Hinweise aus Ortschaftschroniken verfolgt oder einfach Ortsnamen in die Suchmaschinen bei “Yad Vashem” oder den Arolsen Archiven eingegeben und dann versucht die Ergebnisse festzuhalten. Mit den Recherchen zum Thema Zwangsarbeit in und um Querfurt haben wir das etwas geregelter aufgezogen. Wir haben eine Datenbank angelegt, in der wir die Zwangsarbeiter*innen, “Arbeitgeber*innen” und Orte mit denen diese in Verbindung stehen, wie z.B. Lager oder Friedhöfe, erfassen und jeweils deren “Beziehungen” untereinander veranschaulichen können. Das ist zwar deutlich aufwendiger als diese ungeordnete Recherche, aber so lassen sich die Daten besser und einfacher für Dritte aufarbeiten und weitergeben.

Programmiersprache als Hilfsmittel zur Bereitstellung der Rechercheergebnisse

Ihr schreibt in eurer Ankündigung, dass ihr bereits ein Python-Script zum Posten auf den gängigen Social-Media-Plattformen entwickelt habt. Das bedeutet, ihr teilt den gleichen Inhalt automatisiert auf unterschiedlichen Kanälen oder könnt ihr einfach kurz erklären was es damit auf sich hat?

Python ist eine Programmiersprache, die sich sehr großer Beliebtheit erfreuen kann, da sie anscheinend im Vergleich zu anderen “einfacher” zu sein scheint. Was auch immer das aus dem Mund eines Softwareentwicklers bedeuten soll. Einfach gesagt: Es lassen sich mit Python viele komplexe Operationen mit wenigen Zeilen an Codes umsetzen, es gibt eine riesige Community die Codebausteine zur Verfügung stellt und viele Betreiber*innen diverser Dienste stellen eine Python-API zur Verfügung. Eine “API” ist eine Programmierschnittstelle. Es werden Funktionen bereitgestellt, um gewissen Dienste nutzen zu können. Diese Schnittstellen haben wir uns in unserem Script zu Nutze gemacht, um Inhalte automatisiert auf den Social-Media-Plattformen zu posten. Es gibt zwar Möglichkeiten automatisiert bei Twitter über z.B. den Dienst “autoChirp” zu posten, jedoch funktioniert es dann nur auf Twitter. Auch Facebook bietet die Möglichkeit Posts zu planen, mittlerweile sogar für Instagram, aber das gestaltet sich dann sehr aufwendig beim Anlegen bzw. Ändern der Posts, da dies dann bei der jeweiligen Plattform geschehen muss. Mit unserer Lösung muss der Content an nur einer Stelle bearbeitet/angelegt werden und wird dann auf allen Plattformen verteilt. Was aber auch zur Folge hat, dass der Code gepflegt werden muss da sich die APIs ändern können.

Wo lagen dabei besondere Schwierigkeiten? 

Plattformen wie Twitter sind was das angeht sehr einfach zu handhaben. Der Code schreibt sich dazu fast von selbst und ist auch nicht sehr umfangreich. Das größte Problem stellte dabei Instagram dar. Seit einiger Zeit bietet die Instagram-API keine Schnittstelle mehr zum Posten von Bildern an, sondern dient nur noch dazu Daten zu erheben. Für z.B. “Big Data Anwendungen”. Der gängige Weg ist über einen “ferngesteuerten” Browser zu posten. Instagram bietet noch die Möglichkeit in der mobilen Browseransicht Content in den Feed zu packen und die Story zu posten. Instagram denkt also, dass die Inhalte von einer Person über den Browser auf einem mobilen Gerät gepostet werden, dabei ist es ein automatisiertes Programm, das den Browser bedient.

Was habt ihr für die Vernetzungsveranstaltung geplant? 

Zu Beginn wollen wir kurz vorstellen was wir uns für das Projekt wünschen, aber wir wollen auch Raum lassen, damit sich die anderen Initiativen und Vereine mit Vorschlägen und Ideen einbringen können. Dazu gibt es natürlich danach die Möglichkeit, dass die Anwesenden sich und ihre Arbeit vorstellen können. Wir haben als Input das Projekt “Verbrannte Orte” eingeladen, die etwas zum Thema “Digitales Erinnern” und “Open Knowledge” erzählen werden. Nach einer Pause geht es dann in die Gruppenphase. Dort wird es zwei Gruppen geben. Eine beschäftigt sich mit der Ideensammlung für Schulprojekte, die teilweise schon durch einzelne Inis bestehen, welche sich wiederum auf dieses Projekt übertragen lassen sollten. Die zweite Gruppe wird sich mit der Konzeptionierung des öffentlichen Auftritts des

Projekts befassen. Wir denken dabei an Namensfindung, Ideen zu Logos, Social-Media-Strategien und Umsetzungsideen für die Onlinekarte.

Querfurt für Weltoffenheit

Welche Inhalte sollen auf der Onlinekarte dargestellt werden?

Als Überlegung aus den derzeitigen Recherchen dachten wir an “Arbeits- und Erziehungslager”, Zwangsarbeitslager, Stolpersteine und auch an die Orte, an denen die Profiteur*innen der Zwangsarbeit niedergelassen waren/sind. Sozusagen die “Arbeitsorte” der Zwangsarbeiter*innen. Wir denken aber auch darüber nach die Opfer rechter Gewalt nach 1990 als eine Kategorie aufzunehmen oder auch rassistische Gewalt gegen Vertragsarbeiter*innen in der ehemaligen DDR. Es wäre auch möglich jüdisches Leben in der Region sichtbar zu machen oder die Märzkämpfe, deren Jahrestag sich nächstes Jahr zum 100. Mal nähert, mit aufzunehmen. Wir sind dahingehend offen und laden dazu ein sich in dem Projekt einzubringen.

“Uns kommt es so vor als gehe die Mehrheitsgesellschaft davon aus, dass die Verbrechen nur punktuell in abgeschlossenen Lagern stattgefunden hätten, was aber definitiv nicht der Fall ist.” 

Wieso braucht es eurer Meinung nach ein digitales Erinnerungsprojekt im südlichen Sachsen-Anhalt? 

Weil es unserer Meinung nach überfällig ist. Wie bereits erwähnt, es gibt ähnliche Projekte bereits in vielen anderen Regionen, nur scheint dabei der Süden Sachsen-Anhalts als blinder Fleck. Des Weiteren ist es einfach unserer Meinung nach eine gute Möglichkeit das Ausmaß der Verbrechen während des Nationalsozialismus flächendeckend darzustellen. Uns kommt es so vor als gehe die Mehrheitsgesellschaft davon aus, dass die Verbrechen nur punktuell in abgeschlossenen Lagern stattgefunden hätten, was aber definitiv nicht der Fall ist. Es gab sie überall. Aus diesem Grund wollen wir eine Onlinekarte erstellen, in der Gedenkorte mit dazugehörigen Informationen zu finden sind.

Gab es Resonanzen aus Politik/Gesellschaft zu eurem Engagement?

Unsere bisherigen Gedenkformate liefen dahingehend ganz gut und kamen lokal bei der Bevölkerung und den Medien gut an und wurden auch verbreitet. Das jetzige Vorhaben ist noch nicht so lange öffentlich und es gab bisher erst vereinzelt Zuspruch. Wir hoffen aber, dass sich das noch ändert.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.