Laut sein gegen Unterdrückung und Gewalt – Feminismus ist für alle gut!
Ein Rückblick auf die Veranstaltung zum feministischen Kampftag in Halle.
Auf den 08. März 2022 rief das neugegründete „Feministische Bündnis 8. März Halle“ zum Feministischen Kampftag auf, um gemeinsam gegen patriarchale Unterdrückung zu demonstrieren.
Am Dienstag, 08. März 2022, rief das neugegründete „Feministische Bündnis 8. März Halle“ zum Feministischen Kampftag auf, um gemeinsam gegen patriarchale Unterdrückung zu demonstrieren.
Um 14 Uhr startete der Demonstrationszug mit etwa 650 Menschen am Rennbahnkreuz in Halle-Neustadt. Das Motto der diesjährigen Demonstration lautete „Feminismus ist für alle gut“. Das wird bereits im Aufruftext des Bündnisses deutlich, in dem darauf hingewiesen wird, dass „ein Leben ohne Ausgrenzung, Diskriminierung, Gewalt und struktureller Unterdrückung ALLEN“ zugute kommt. Dieser Anspruch wurde auch durch die thematische Vielfalt der Redebeiträge fortgeführt.
Nach einer Eröffnungsrede vom Feministischen Bündnis 8.März Halle, in der unter anderem die Zusammenhänge zwischen der Coronakrise und Sorgearbeit thematisiert wurden, ging es über die Hochstraße zum Leipziger Turm. Chris T. freut sich: „Ich bin so begeistert, dass so viele Menschen laut auf der Straße sind, um für feministische Themen einzutreten und darauf aufmerksam zu machen. Zusammen können wir gegen Unterdrückung angehen! “
Am Leipziger Turm fand eine Kundgebung der Gewerkschaft „ver.di“ mit etwa 200 Menschen statt. Für den 8. März hatte diese bundesweit zu Warnstreiks in Erziehungsberufen aufgerufen und forderte unter anderem bessere Arbeitsbedingungen. Im Anschluss schlossen sich die streikenden Erzieher*innen und Gewerkschafter*innen dem großen Demonstrationszug an.
Die Demonstrant*innen zogen lautstark weiter zum Joliot-Curie-Platz. Immer wieder riefen Teilnehmer*innen beispielsweise „Gegen Macker und Sexisten – Fight the Power, Fight the System/Cistem“ oder „My body, my choice – raise your Voice“. Dort fand die zweite Zwischenkundgebung statt (auf einige der Redebeiträge wird unten genauer eingegangen). Vom Joliot-Curie-Platz zog die Demonstration weiter zum Steintor, wo bereits ab 15:30 Infostände und Workshops zu feministischen Themen angeboten wurden. Diese wurden unter anderem vom Medinetz Halle e.V., dem queer-feministischen Kollektiv „kju-point“, dem Rolling Safe Space ROSA e.V., der Diversity Buchhandlung Kohsie, der Gewerkschaft ver.di und der Sozialistischen Jugend Die Falken organisiert und betreut. Als der große Aufzug am Steintor ankam, hatten sich bereits zahlreiche Menschen zur Abschlusskundgebung gesammelt.
Demoteilnehmerin Nina C. resümiert: „Es war so schön, bei Sonnenschein mit so vielen gleichgesinnten, feministischen Menschen heute, am 8. März, auf die Straße gegangen zu sein und vor allem die Stimmen gehört zu haben, die sonst nicht (genug) gehört werden!“
Mehr als nur „Frauenkampftag“
Die Demonstrant*innen forderten einen intersektionalen Feminismus, der verschiedene feministische und emanzipatorische Kämpfe marginalisierter Personen und Gruppen verbindet. „Wir wollen ein Ende der Gewalt gegen Frauen – ein Ende der Femizide! Wir wollen ein Leben ohne Gewalt gegen queere, nicht-binäre, trans*, inter* und a_gender Menschen!“ hieß es bereits im Aufruf. Weiter schreibt das Feministische Bündnis 8. März Halle: „Alle Diskrimierungserfahrungen von Sexismus, Rassismus, Queer- und Trans*feindlichkeit bis hin zu Adultismus, Klassismus und Ableismus müssen besonders auch in feministischen Kämpfen zusammengedacht werden. Denn Menschen haben vielfältige Identitäten und erleben Ausschlüsse [des Patriarchats, Anm. d. Red.], Gewalt und Unterdrückung auf verschiedenen Ebenen.“ Feminismus müsse für die Rechte und Anliegen aller Menschen eintreten, einschließlich muslimischer Menschen, Sexworker*innen, Schwarzer, Indigener, People of Colour, Geflüchtete, behinderter, trans*, inter*, a_gender und nicht-binärer Menschen, sonst sei es einfach kein Feminismus. Auch deshalb stand die Demonstration unter dem Motto: „Feminismus ist für alle gut“.
8. März ist Streiktag
Die streikenden Erzieher*innen von ver.di beteiligten sich mit einem Redebeitrag am Programm der Zwischenkundgebung am Leipziger Turm. Dieser setzte sich u.a. mit der Beschäftigungssitaution von Personen im Erziehungs- und Bildungssektor auseinander. Es wurde darauf eingegangen, dass etwa 90% dieser Arbeit nach wie vor von Frauen ausgeführt wird. Die Pandemie hätte noch einmal deutlicher gezeigt, wie wichtig die Arbeit der Menschen in diesen Sektoren sei und wie gering sie gleichzeitig wertgeschätzt würde. Es wurde auf den Fachkräftemangel hingewiesen und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und finanzielle Anerkennung der Arbeit gefordert.
In einem weiteren Redebeitrag ging es um Reproduktion und Sorgearbeit in Bezug auf Kinder. Die Auswirkungen der Pandemie zeigen sich nicht nur im Erziehungssektor deutlich, sondern belaste besonders auch Eltern. Über Geburten während der Pandemie sagte eine Rednerin: „die Pandemie ist wie ein Brennglas, welches bereits bestehende Missstände weiter verschärft“. Sie forderte Solidarität und Unterstützung durch kinderlose Menschen, die Aufteilung von Care-Arbeit gleichermaßen auf alle Geschlechter und die Abschaffung des Gender-Care- und Gender-Pay-Gap’s. Homeoffice und Homeschooling habe zu einer deutlich stärkeren psychischen Belastung bei Menschen, die Sorge-Arbeit leisten, geführt. „Was wäre, wenn wir die Sorge-Arbeit auch nur einen einzigen Tag bestreiken würden?“, fragte die Rednerin, „Kinder sind kein individueller Luxus, ihr Großziehen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe!“
Trans*feindlichkeit an der Uni
Auch auf die Situation an Universitäten wurde in einem Redebeitrag hingewiesen.
Die Initiative „Call me by my name” setzt sich für die richtige Nutzung von Namen und Pronomen an der Universität ein und berichtete in einem Redebeitrag über die zahlreichen Probleme, mit denen trans* Studierende und nicht-binäre Personen täglich konfrontiert sind. Ohne eine offizielle Namensänderung und einen Ergänzungsausweis werden die betroffenen Studierenden in jeder E-Mail, jeder Liste, bei jeglichen Veranstaltungen und auf ihrem Studierendenausweis mit ihrem Deadname und teilweise falschen Pronomen angesprochen. Trotz einer Petition, die 600 Menschen unterschrieben, hat sich kaum etwas an der Universität geändert. Diese würde sich nach außen immer als weltoffen und inklusiv darstellen, aber schaffe es nicht trans* und nicht-binäre Personen zu unterstützen.
Die Chefetage der Uni sei aber nicht die einzige Stelle, an der die Initiative für die Rechte nicht binärer und trans* Menschen kämpfen müsse. Die Gruppe „AK Antifa“ beispielweise ist ein offizieller Arbeitskreis des Studierendenrats der Uni in Halle. Auch wenn Arbeitskreise autonom agieren, handeln sie im Auftrag des Studierendenrates und somit der Studierendenschaft. Mit deren Geld veranstaltete der AK Antifa im Herbst einen Vortrag mit dem Titel „Austreibung der Natur. Zur Kritik der Queer- und Transideologie der Gegenwart“. Dort sei es mehrfach zu trans*feindlichen Äußerungen gekommen. Beispielsweise hätte die Vortragenden, Vojin Saša Vukadinović und Hannah Kassimi, trans* Sein als psychische Krankheit bezeichnet und falsche Zahlen und Fakten verbreitet. Außerdem seien die Stimmen von Betroffenen vor Ort nicht ernst genommen worden. Im Zuge dieser und weiterer regressiver Veranstaltungen des AK Antifa wurde dessen Ausschluss aus dem Stura beantragt. Die daran anschließenden und zahlreichen Solidaritätsbekundungen gegenüber dem Arbeitskreis Antifa zeigen jedoch, dass die politische Szene in Halle kein sicherer Ort für Minderheiten sei.
„Der Kampf für Klimagerechtigkeit ist intersektional“
In einem Beitrag von „Ende Gelände Halle“, der, wie auch andere Reden, schon ab 15:30 in Form einer Audioaufzeichnung am Steintor abgespielt wurde, wiesen die Klimagerechtigkeitsaktivist*innen auf den Zusammenhang von Klimagerechtigkeit und Feminismus hin. Durch die Klimakrise verlieren bereits zahlreiche Menschen ihre Lebensgrundlagen und müssen flüchten. Dabei verstärkt die Klimakrise jegliche Unterdrückungssysteme und so auch patriarchale Strukturen. „Dass Menschen, die Reproduktionsarbeit leisten, diese in den meisten Fällen unentlohnt verrichten, ist das Rückgrat der kapitalistischen Produktionsweise“ so Ende Gelände Halle.
Weiter wurden im Redebeitrag die Zusammenhänge von Umweltzerstörung, Kapitalismus und Kolonialismus dargestellt und über Beispiele von Widerstandskämpfen der Zapatistas und der kurdischen Bewegung in Rojava berichtet: „Diese denken Feminismus und Klimagerechtigkeit schon lange zusammen“.
Mit einer deutlichen Zielrichtung endete der Redebeitrag der lokalen Klimagerechtigkeitsgruppe: „Die Abschaffung von Kapitalismus, Patriarchat und Umweltzerstörung ist der einzige Weg zu einer gerechten Gesellschaft. Fakt ist: Uns läuft die Zeit davon auf diesem sterbenden Planeten. – Wir müssen handeln und zwar nach einer feministischen Maxime! Feminism or death!“
Täterschutz und die Linke Szene
Zusätzlich zu den gesamtgesellschaftlichen Themen wurde auf die Verantwortung und die Probleme in der linken Szene hingewiesen.
„Hinterfragt euch selbst und euer Handeln! Wenn ich auf meine Vergangenheit zurückschaue und darüber nachdenke, in wie vielen Situationen ich war, in denen kein Konsens geherrscht hat, indem er pseudomäßig hergestellt aber nicht eingehalten wurde, in denen ich gedrängt wurde – und wenn ich dann mit meinen Freund*innen darüber rede und merke, dass das die Norm ist – dann ist es mir unbegreiflich, wie Menschen überrascht sein können, wie sie zweifeln können, wenn es dann ihr Umfeld betrifft. Wir müssen aufhören nicht wahrhaben zu wollen, dass wir in einem System sozialisiert wurden, welches patriachal, sexistisch und gewaltvoll ist. Wir müssen aufhören so zu tun, als könnte uns all das nicht begegnen, also würden wir all das nicht reproduzieren, nur weil wir uns als links bezeichnen“, sagte eine Rednerin.
Auch in der linken Szene gebe es immer wieder Fälle sexualisierter und sexueller Gewalt und häufig müssen Betroffene aus Selbstschutz die Szene oder Gruppen verlassen, während Täter weiterhin aktiv bleiben können. Deshalb rief die Rednerin die Teilnehmenden auf, das eigene Verhalten ständig zu hinterfragen und sich zu reflektieren: „Ihr seid an der Reihe!“ Weiter führte sie aus: „Wir finden, dass es wichtig ist, Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht allein stehen. Im Gegenteil – es gibt so viele. Das Gefühl, nicht allein zu sein, das Gefühl wirklich verstanden zu werden, hat uns geholfen. Wir sind keine Opfer! Wir können handlungsfähig sein oder werden. Gleichzeitig finden wir es wichtig, all den Menschen, die nicht betroffen sind aufzuzeigen, was ihr Handeln für Konsequenzen hat. Sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.“
Den Betroffenen müsse geglaubt werden. Außerdem forderte die Rednerin, dass endlich Konsequenzen für die Täter folgen müssen.
„Wir streiken heute und auch jeden weiteren Tag in wütender, emotionaler und verstehender Solidarität zu allen Betroffenen sexueller und sexualisierter Gewalt! Wir streiken für unsere Deutungshoheit und gegen jedweden aktiven oder passiven Täterschutz. Wir sind nicht schuld und wir sind nicht allein, sondern wir stehen hier und überall solidarisch und stark zusammen.“
Neben Täterschutz seien auch Sexismus, Mackertum und Trans*feindlichkeit alltägliche Probleme in linken Gruppen und auf Demonstrationen. Besonders wurde dabei auf die Situation in Halle hingewiesen.
Solidarität mit den Betroffenen des Krieges in der Ukraine
Die Teilnehmer*innen solidarisierten sich mit den Betroffenen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Besonders marginalisierte Personen würden unter der aktuellen Situation zusätzlich leiden. So gebe es rassistische Einreisekontrollen durch die Bundespolizei an der deutsch-polnischen Grenze oder rassistische Vorfälle an der polnisch-ukrainischen Grenze. Dort werden teilweise People of Colour an der Ausreise gehindert oder diese werden in Polen von Neonazis und Rechtsradikalen gejagt. Auch trans* und queere Personen leiden besonders unter dieser ohnehin schon katastrophalen Situation.
Aus diesen Gründen zeigten die Teilnehmer*innen mittels auf der Demonstration gesammelter Spenden, Transparenten und Schildern Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und den Anti-Kriegs-Demonstrant*innen in Russland. Beispielsweise trugen mehrere Aktivist*innen ein Banner mit der Aufschrift „FCK PUTIN, NATO and WAR“ oder Schilder auf denen „Make Love not War“ stand. Auch die Ukrainische Nationalfahne wurde von einer Person mitgeführt.
Im ersten Redebeitrag wurden zudem die durch die Bundesregierung geplanten 100 Mrd.€ an die Bundeswehr und die zunehmenden Forderungen nach Militarisierung kritisiert.
Die Organisator*innen riefen bei der Abschlusskungebung zum Globalen Klimastreik am 25.03. um 14 Uhr auf dem Marktplatz und den Trans* Day of Visibility (Deutsch: Tag für trans* Sichtbarkeit) am 31.03. auf. Sie zeigten sich sehr zufrieden mit den erfolgreichen Aktionen in Halle und wollen auch in Zukunft aktiv bleiben. „Heute stehen wir auf der Straße und streiken, aber unser Kampf geht weiter, jeder Tag ist 8. März, jeder Tag ist Feministischer Kampftag“ lautete die abschließende Parole.