„Es geht um gleiches Recht für alle Menschen“

Mahnwache des Café Internationale zur menschenunwürdigen Situation Geflüchteter im Saalekreis

Im Saalekreis rund um Halle setzt die Ausländerbehörde auf Repression, Unterdrückung, Desintegration und rigorose Abschiebepraxis und macht damit das Leben vieler Geflüchteter regelmäßig zur Hölle. Wir waren bei der Mahnmache des Cafè International in Merseburg und sprachen mit einem Aktivisten und Supporter über die menschenunwürdigen Zustände im Saalekreis.

Am Donnerstag, den 19.12., fand vor dem Ausländeramt des Saalekreises in Merseburg eine Mahnwache statt. Diese richtete sich gegen die unmenschliche Praxis der Behörde, geflüchteten Menschen mit Duldungsstatus durch die Ausgabe von Gutscheinen statt Bargeld das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben zu verwehren. Die Betroffenen bekommen an zwei Terminen im Monat Gutscheine im Wert von insgesamt 150€ für diverse Märkte im Saalekreis. Das ist alles, was ihnen nach fragwürdiger Auslegung des Gesetzes zum Leben zusteht.

Der 19.12. war einer dieser „Auszahlungstage“. Von 9 bis 16 Uhr versammelten sich Studierende, Anwohner*innen und geflüchtete Menschen vor dem Ausländeramt des Saalekreises. Es gab Redebeiträge von Betroffenen, die seit mehreren Jahren Sanktionen und Repressionen als geduldete Menschen erfahren.

Sonst war eigentlich alles wie immer, wenn linker Protest in der Provinz stattfindet: Ein Anwohner pöbelt die Mahnwache an, er sorge sich um seinen Sperrmüll auf der Straße, denn ein junger Mann hatte sich einen alten Stuhl als Sitzgelegenheit genommen. Zustimmendes Nicken kommt von der Mitarbeiterin des Ordnungsamts, die vom Gelände der Behörde aus ein Auge auf alles hatte. Als die städtische Entsorgungsgesellschaft den Müll abholt, fahren diese den Pavillon des Cafés an und pöbeln im Sinne von „Geht doch mal arbeiten!“. Zuletzt erscheint Jan Rosenstein, ehemaliger Dozent an der MLU Halle-Wittenberg, als CDU-Mitglied im “Ausschuss für Ordnung und Gefahrenabwehr” des Stadtrats Merseburg sitzend, ehrenamtlicher Richter des Sozialgerichts Halle und hauptberuflich tätig in Doppelfunktion als Leiter des Ausländeramts im Saalekreis sowie als Leiter des Sozialamts für Ausländerangelegenheiten. Dieser verteilt nach seiner Ankunft Plätzchen an die Polizist*innen und die Mitarbeiterin des Ordnungsamts. Dabei wurde sich angeregt und lachend mit Polizei, Ordnungsamt und Staatsschutz unterhalten. Die Mahnwache hat ein wichtiges Zeichen gegen die menschenunwürdige Politik des Saalekreises gesetzt und es muss auch weiterhin viel dafür getan werden auf diese Missstände aufmerksam zu machen und Druck auszuüben, damit diese behoben werden.

Wir haben uns mit einem Aktivisten des Cafè Internationale unterhalten, das die Mahnwache organisierte und sich seit vielen Jahren für die Rechte Geflüchteter im Saalekreis einsetzt.

Transit: Für welche Initiative sprichst du und wie sieht eure Arbeit aus?Anton: Ich spreche für das Café Internationale. Das gibt es seit 2014 im Saalekreis. Unsere Arbeit gestaltet sich unterschiedlich: Es ist eine Mischung aus Sozialer Arbeit, solidarischem Support und politischem Protest. Wir unterstützen Geflüchtete, überwiegend ohne Bleibeperspektive. Das fängt beim Übersetzen von Briefen vom Amt an, Widersprüche einlegen, zum Amt begleiten, Beistand sein, Zeug*innen sein. Das geht weiter über die Vermittlung von Anwält*innen und finanzieller Unterstützung. Manche Menschen brauchen ärztliche Hilfe, die nicht immer vom Amt gewährt wird. Dann wird mit anderen Gruppen, wie z.B. dem MediNetz, geschaut, ob diese Unterstützung unabhängig vom Amt organisiert werden kann.

Es treibt viele Leute in die Illegalität, was hier stattfindet. Wir reden mit den Betroffenen, was das bedeutet und wo es hinführen kann. Wir supporten sie auch, wenn sie vor der Behörde geschützt werden müssen, insbesondere vor dem „Asylzentrum“. Das ist die Zusammenlegung von Ausländer- und Sozialamt. Wenn es eine akute Bedrohung gibt, wird auch überlegt, ob diese Person ins Kirchenasyl geht oder was es sonst für Möglichkeiten gibt, eine Abschiebung zu verhindern. Im Endeffekt ist es ein Kampf ums Bleiberecht und um gleiches Recht für alle Menschen.

Transit: Warum ist die Situation für Geflüchtete im Saalekreis besonders schlimm und was unterscheidet diesen Landkreis von anderen?
Anton: Das Problem beim derzeitigen Asylrecht, also dem Asylbewerberleistungsgesetz, dem Aufenthaltsrecht usw. ist, dass es zum großen Teil Auslegungssache ist. Das wird daran deutlich, dass Menschen, die in Halberstadt ihren Asylantrag stellen, wo auch das für den Saalekreis zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sitzt, eine 10% geringere Chance im Vergleich zu anderen Einrichtungen des BAMFs auf Asyl oder Bleiberecht haben. Das ist schon sehr auffällig.
Der Saalekreis sticht dadurch hervor, dass er mit Jan Rosenstein einen Amtsleiter hat, der die Auslegung mit einer eigenen politischen Agenda verknüpft. Ganz nach dem Motto: alle Menschen, die kein Recht haben hier zu sein, sind kriminell und illegal und müssen schnellstmöglich aus dem Landkreis entfernt werden. Sie werden dann so lange gestresst und unter Druck gesetzt, bis sie freiwillig gehen. Es gibt die sogenannte „Freiwillige Ausreise“, aber das ist eine Farce.

Eine andere Möglichkeit ist die Aufforderung zur Vorlage des Passes, was teilweise durch die Sanktionen aufgezwungen wird, um die jeweilige Person zur “Mitwirkung der Identitätsklärung” zu bewegen. Dabei werden die Leistungen um die Hälfte gekürzt und diese Hälfte erhalten die Betroffenen in Form der besagten Gutscheine. Der Saalekreis ist dabei der einzige Landkreis in Sachsen-Anhalt, der solche drastischen Mittel zur Sanktionierung wählt. Für eine Abschiebung wird ein gültiges Reisedokument benötigt. Somit gab es Fälle, dass Geflüchtete bei ihrer Identitätsklärung mitwirken, indem sie Pässe vorlegten. Daraufhin wurden die Betroffenen in ein weiteres Gespräch verwickelt und während solch eines Gesprächs wurde die Polizei gerufen, die dann die Menschen direkt zum Flughafen brachte, um sie abzuschieben.  Das ist seit zwei Jahren sehr krass geworden, war aber auch vorher schon sehr auffällig. Hier wird mit verschärften Mitteln gegen diese Menschen vorgegangen, im Vergleich zum restlichen Sachsen-Anhalt bzw. zu anderen Bundesländern.

Transit: Jan Rosenstein ist nicht nur Leiter des Ausländeramts, sondern auch des Sozialamts. Was hat das für Konsequenzen?
Anton: Das ist etwas Unübliches, das ich so aus anderen Kreisen nicht kenne. Hier ist die Ordnungsbehörde, also die Ausländerbehörde, an das Sozialamt für Ausländerangelegenheiten, sprich den Leistungsbetrieb, gekoppelt. Jemand, der im weitesten Sinne über das Aufenthaltsrecht bestimmen kann, entscheidet auch über die Leistungen, die diese Menschen bekommen sollen. Das ist einfach zu viel Macht auf einer Position und mündet in Gewalt und Bürokratie, was die Situation für die Betroffenen noch weiter verschlimmert. Die Gesetze sind in den letzten vier Jahren schlimmer geworden und Herr Rosenstein hat die Kraft seines Amtes genutzt, um die Bürokratie in Gewalt umzusetzen.

Transit: Mitarbeiter*innen von Behörden ziehen sich gern auf die Argumentation zurück, dass sie lediglich Vorschrift und Gesetze umsetzen. Wo siehst du da Handlungsspielräume?
Anton: Es gibt zum einen immer die Möglichkeit, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, das ist das Erste. Die Leute sind hierhergekommen, weil sie aus den Ländern, aus denen sie kommen, vor Krieg, Verfolgung oder bitterer Armut geflohen sind. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir Menschen auf der nördlichen Halbkugel diese Menschen dort ausbeuten. Wenn diese Leute dann hier sind, haben sie den Anspruch, ihre Geschichte zu verarbeiten und ein Auskommen zu finden. Das finden sie hier aber nicht vor. Diesen Leuten zuzugestehen, dass sie ein Recht haben, hier zu sein, das passiert nicht. Um sie Fuß fassen zu lassen, müsste man mit ihnen reden, fragen, wo sie hinwollen, was sie machen wollen.

Es gibt andere Argumentationen, denen ich nicht ganz zustimme, aber die man anführen könnte: Es gibt einen demographischen Wandel in Sachsen-Anhalt und im Saalekreis. Die Geflüchteten sind meist jung, wollen arbeiten und dürfen dies nicht. Eine Option wäre, zusammen mit den Leuten ein Integrations- oder Inklusionskonzept aufzubauen. Aber es geschieht eher das Gegenteil. Es wird alles dafür getan, dass die Betroffenen kein Mitgestaltungsrecht haben. Das ist kein Umgang mit Menschen, es wird alles über sie hinweg bestimmt.

Transit: Ist der Leiter der Behörde allein verantwortlich für die Situation der Geflüchteten oder ist es eher ein Zusammenspiel negativer Faktoren?
Anton: Er sagt, dass diese Leute für ihn lediglich Ausländer sind, die für ihn schon eine Straftat begangen haben, weil sie illegal die Grenze nach Deutschland überquert haben. Da spricht viel dafür, dass da ein Mensch sitzt, der seine eigene politische Agenda verfolgt. Aber natürlich ist das alles gedeckelt durch eine Verwaltung und durch eine Landesregierung, die das seit längerer Zeit weiß und nichts dagegen tut. Meiner Meinung nach wird ihm im weitesten Sinne freie Hand gelassen.

Transit: Womit wäre den Betroffenen am meisten geholfen?Anton: Bleiberecht. Dass ihnen die Hand gereicht wird und sich für alles entschuldigt wird, was ihnen hier geschehen ist. Eine Wiedergutmachung, auch für die Menschen, die abgeschoben wurden, obwohl dies nicht hätte passieren dürfen. Diese Menschen einzuladen, wiederzukommen und ihnen eine Perspektive zu bieten, das wären so erste Ansätze. Aber da spreche ich jetzt nur aus der Perspektive eines Supporters, ich glaube, dass die Leute selbst noch ganz viele eigene Ideen hätten, womit ihnen am besten geholfen wäre. Sanktionen einstellen und den Leuten Mitspracherecht zugestehen, das wären die wichtigsten Punkte.

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