„Ein System, das Täter*innen schützt“

20 Jahre ohne Aufklärung - Teil 5

Radio Corax sprach mit Sagal, der Cousine von Rooble und Mitglied der Kampagne „Justice for Rooble“, am 7. Januar bei der Gedenkdemonstration an Oury Jalloh in Dessau. Am 01. März 2025 fand eine Gedenkkundgebung am Marktplatz Schweinfurt statt.

Dieses Interview war Teil einer Sondersendung zum 20. Todestag von Oury Jalloh bei Radio Corax und wurde für die Verschriftlichung redaktionell bearbeitet (Hier lässt sich der originale Beitrag nachhören: https://radiocorax.de/kampagne-justice-for-rooble-ueber-den-todesfall-von-rooble-warsame/).

Vor beinahe sechs Jahren, am 26. Februar 2019, verstarb der damals 22-jährige Rooble Warsame in Zelle 2 der Polizeidirektion Schweinfurt. Polizei und Staatsanwaltschaft kommen schnell zu dem Schluss, dass sich Rooble selbst getötet haben müsse. Doch die Todesumstände weisen viele Ungereimtheiten auf: So soll sich Rooble Warsame mit einem Gitterstreifen von einer Wolldecke erdrosselt haben. Doch die Wolldecke ist extra für den Einsatz in Gefängnissen hergestellt und gilt als unzerstörbar. Außerdem war das Gitter in einer Höhe von nur 1,50 m angebracht, Rooble Warsame war 1,78 m groß. Bei der rituellen Waschung vor seiner Beerdigung entdeckten die Angehörigen zahlreiche Verletzungen an seinem Körper. Gemeinsam mit Aktivist*innen setzen sie sich für die Aufklärung von Roobles Tod ein.
Weitere Informationen zur Initiative „Justice for Rooble“: https://www.instagram.com/justice4rooble/ und ein weiterführender Artikel.

Radio Corax: Was ist der aktuelle Stand in eurer Kampagne „Justice for Rooble“?

Justice for Rooble: Wir haben zu Rooble’s Fall recherchiert und versuchen nun, den Fall vor Gericht neu aufzurollen. Dafür arbeiten wir mit einigen Organisationen wie zum Beispiel dem Recherchezentrum und einem Anwalt zusammen. Außerdem werden wir gerade auch finanziert. So wollen wir auf den Fall aufmerksam machen und hoffen auf öffentliche Unterstützung.

Radio Corax: Dieses Jahr jährt sich der Tod von Oury Jalloh zum 20. mal Wo liegen denn Parallelitäten in den Fällen von Rooble Warsame und Oury Jalloh?

Justice for Rooble: Es gibt wahnsinnig viele Parallelen zwischen den beiden Fällen. Sowohl Oury Jalloh als auch Rooble sind schwarze asylsuchende Menschen, die in Polizeigewahrsam genommen und dann gestorben sind. Außerdem sehen wir in beiden Fällen wahnsinnig viele Ungereimtheiten und was wir als Cover-Ups bezeichnen würden. Konkret heißt das, dass Beweismittel für uns nicht schlüssig sind, Zeug*innen nicht richtig interviewt worden, die Familie am Körper des Verstorbenen Wunden entdeckt hat, die eher auf einen Kampf als auf eine Selbststrangulation hingedeutet haben.
Wir kämpfen inzwischen seit so vielen Jahren für Aufklärung und Gerechtigkeit. Dabei wird immer wieder deutlich, dass es keine Gerechtigkeit gibt, wenn die Polizei gegen sich selbst ermittelt. Das ist bei Oury genauso der Fall wie bei Rooble. Deshalb ist es für uns als Kampagne so wichtig, hier heute bei der Demonstration zu sein, über Roobles Fall zu informieren, Solidarität zu zeigen und Aufklärung zu fordern.
Beide Fälle können nicht als isolierte Einzelfälle betrachtet werden, sondern müssen im größeren Kontext von Polizeigewalt in einem rassistischen Grenzregime gesehen werden. Noch nicht einmal in Bezug auf die Opfer an den europäischen Außengrenzen, sondern in Bezug auf ein System, in dem disproportional viele schwarze Menschen, viele People of color von rassistischer Polizeigewalt betroffen sind, die oftmals unverfolgt bleibt. Wir fordern Aufklärung und Rechenschaft.

Radio Corax: In dem Verfahren ist ja auch auffällig dass die Zeugen, die vor Ort waren, teilweise nicht vernommen wurden. Einer der Zeugen ist abgeschoben worden nach dem Verfahren. Inwiefern steht das exemplarisch für den juristischen Prozess?  

Justice for Rooble: Genau, das müssen wir ganz klar sagen: Der Hauptzeuge in dem Fall von Rooble wurde nicht interviewt. Er war ein Freund Rooble, der in der Nachbarzelle inhaftiert war. Dieser Zeuge hörte, wie Rooble in der Nacht geschrien hat und wie es danach leise wurde.

Allerdings wurde er nicht nur nicht befragt, sondern, noch schlimmer, ein paar Tage später abgeschoben. Seitdem ist er nicht mehr auffindbar. Das zeig uns: Im deutschen  Rechtssystem wird es keine Gerechtigkeit geben, wenn die Polizei gegen sich selbst ermitteln muss. Stattdessen werden Täter*innen geschützt und unserer Ansicht nach versucht, zu vertuschen, die Wahrheiten unter den Teppich zu kehren.
Oft sind es dann stattdessen NGOs, Familie und Freunde, also die Zivilgesellschaft, die recherchiert, informiert und aufklärt – so auch im Fall von Rooble. Dabei wäre das eigentlich eine staatliche Aufgabe. Wir sehen in unserer Arbeit, dass Todesfälle in Polizeigewahrsam nicht in gleichem Maße aufgeklärt werden, wie andere Todesfälle. 

Radio Corax: Welche Rolle spielt eurer Meinung nach die Öffentlichkeit und auch die mediale Berichterstattung für die heutige Demonstration, aber auch insgesamt für eine gerechte Aufklärung der Fälle? 

Wir reden hier von System, das Täter*innnen schützt anstatt für Aufklärung zu sorgen. Und um da Druck aufzubauen braucht es mediale Öffentlichkeit.

Justice for Rooble: Wir reden hier von System, das Täter*innnen schützt anstatt für Aufklärung zu sorgen. Und um da Druck aufzubauen braucht es mediale Öffentlichkeit. Unsere Hoffnung ist, dass durch Veranstaltungen wie heute mehr Menschen informiert werden,  vielleicht auch angestiftet werden, sich an ihre politischen Vertreter*innen zu wenden oder auch generell öffentlich Druck ausüben. In Roobles Fall brauchen wir gerade genau das. Wir brauchen, dass mehr Menschen darüber Bescheid wissen, was passiert ist; dass mehr mehr Menschen sich stark machen dafür, dass es endlich Aufklärung und Gerechtigkeit für Rooble gibt.

Radio Corax: In Roobles Fall gibt es ja sehr viele ungeklärte Details. Zum einen die eigentlich reißfeste Decke oder die Sturzhöhe. Könnt ihr nochmal auf diese Details eingehen? Welche Ungereimtheiten ergeben sich in der offiziellen Darstellung der Polizei und Staatsanwaltschaft? 

Justice for Rooble: Es gibt wahnsinnig viele Anhaltspunkte die für uns einfach gar keinen Sinn in dem Fall machen. Einer der größten ist, dass Rooble sich angeblich mit einer angeblich reißfesten Decke stranguliert haben soll. Diese Decke wird spezifisch für den Einsatz im Gefängnis hergestellt. Rooble hatte keinen Zugang zu irgendwelchen Werkzeugen, er soll sie einfach mit der Hand zerissen haben. Das macht für uns gar keinen Sinn. Aber nach der offiziellen Darstellung soll Rooble diese Decke genutzt haben, um sich an vertikalen Zellstäben in 1,50 Meter Höhe erhängt zu haben. Rooble war aber 1,78 Meter groß. Das passt für uns einfach nicht zusammen.
Außerdem haben wir schon den abgeschobenen Zeugen angesprochen. Er soll Schreie in Roobles Zelle vernommen haben, wurde dazu aber nie befragt.
Dazu kommt, dass der Familie bei der rituellen Waschung von Roobles Körper Wunden aufgefallen sind. Sein Körper war mit Hämatomen überseht, die nicht auf einen Selbstmord hinzuweisen schienen, sondern eher auf einen Kampf. Es gab keine  Strangulationsmarken am Hals.
Es gibt ganz, ganz, ganz viele Fragen für uns, die eben nicht von Staatsanwaltschaft und Polizei beantwortet werden.  Wie bereits erwähnt sind das alles Zeichen, die uns misstrauisch werden lassen und wir eine Vertuschung vermuten müssen. Wieder einmal zeigt sich, dass wenn die Polizei gegen sich selbst ermittelt, passiert einfach nichts. Stattdessen müssen wir diese Arbeit übernehmen, als Familie, als Kampagne. Dabei kämpfen wir schon seit langer Zeit für eine Aufklärung des Falls. 

Radio Corax: Seit sechs Jahren gibt es keine Aufklärung. Die Staatsanwaltschaft hat den Fall zweimal aufgenommen und zweimal die Akten wieder geschlossen. Ihre Begründung: Es gäbe keine Anhaltspunkte, die gegen einen Suizid sprechen. Doch euer Kampf für Gerechtigkeit hält weiter an. Wie geht es euch als Familie, aber auch in der Kampagne mit diesem ständigen Kampf für Öffentlichkeit und Gerechtigkeit?

Justice for Rooble: Es lässt sich wirklich schwer beschreiben, wie sich das anfühlt. Zunächst einmal ist es wahnsinnig schmerzhaft als Familie, zu merken, dass ein solcher Todesfall wie der von Rooble – von einem schwarzen Asylsuchenden – nicht die gleiche Beachtung und Aufklärung erfährt wie andere Todesfälle.
Es gibt uns als Familie den Eindruck, dass schwarze Menschen, People of Color, muslimische Menschen, migrantische Menschen einfach Bürger*innen zweiter Klasse sind. Wenn solche Menschen zu Tode kommen, erfährt das nicht die gleiche Aufmerksamkeit und Aufklärung, wie bei weißen deutschen Personen.
Auf uns wirkt es so, als würden Polizei und Staatsanwaltschaft wollen, dass die Menschen hinter solchen Todesfällen zu bloßen Statistiken werden. Dass sie keine Aufmerksamkeit mehr erhalten. Aber das werden wir nicht passieren lassen. Wir werden weiter für Aufklärung für Rooble kämpfen, wir werden weiter für Aufklärung für Oury Jalloh kämpfen. Das sind keine Statistiken, sondern Menschen. Menschen, die gestorben sind und deswegen ist es ganz wichtig, dass wir hier auf dieser Demonstration sind und auch darüber hinaus weiter dafür kämpfen, Gerechtigkeit zu erfahren.


Foto: Dani Luiz

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