Der braune Blumenstrauß

Nazis und rechte Netzwerke in deutschen Sicherheitsbehörden

von | veröffentlicht am 23.05 2023

Beitragsbild: Dani Luiz

Der Anschlag in Halle, die Morde in Hanau und Nazinetzwerke in Behörden. Sie alle haben eines gemeinsam: massive Versäumnisse in der Aufarbeitung rechter Gewalt seitens staatlicher Akteur*innen, die sich anscheinend nur aus einem weitreichenden strukturellen Problem deutscher Behörden erklären lassen. Die Initiative „EntnazifizierungJetzt“ aus Berlin setzt sich seit 2020 dafür ein, die Verbindungen deutscher Sicherheitsbehörden und rechter Netzwerke aktiv aufzuarbeiten. Um ihre Arbeit der letzten Jahre vorzustellen, hat die Initiative einen Vortrag bei Radio Corax gehalten.




diesen Beitrag teilen

Rechte Netzwerke sind immer wieder Themen in der medialen Berichterstattung. Es werden vonseiten verschiedener Journalist*innen etwa wiederholt Fälle von rechten Chatgruppen innerhalb von Sicherheitsbehörden in Deutschland berichtet. Doch die tatsächliche Aufarbeitung und Strafverfolgung dieser lässt, vorsichtig ausgedrückt, sehr zu wünschen übrig. Seit 2020 gab es über 850 Skandale in Behörden. Die Initiative „EntnazifizierungJetzt“ beschäftigt sich dabei nicht nur mit der Dokumentation der Fälle, sondern auch mit der Analyse der Hintergründe. Zudem veranstaltet sie regelmäßig Aktionen, etwa eine Radtour, bei der in Berlin alle Standorte von Sicherheitsbehörden abgefahren und Vorträge über die mangelnde Aufarbeitung gehalten wurden. Im Februar veröffentlichte die Initiative eine Broschüre zu ihrer Arbeit, die jetzt bereits in zweiter Auflage vorliegt.

Die bisher dokumentierten Fällen in deutschen Sicherheitsbehörden reichen vom offenen Tragen von Nazisymbolen über Chatgruppen, das Posieren vor rechten Graffiti, Datenabfragen über antifaschistische Akteur*innen und das Zeigen des Hitlergrußes bis hin zur konkreten Planung von Anschlägen. Die Initiative hat versucht, alle Vorfälle in acht Kategorien einzuteilen, um einen Überblick über die Vielfalt rechter Gewalt zu geben:

Die Verharmlosung und Vertuschung von Straftaten, etwa indem die Taten von Nazis individualisiert und entpolitisiert werden.

Taten, die sich auf die rassistische Alltagskultur beziehen, etwa Beleidigungen, Übergriffe im Alltag, Tweets oder Aufnahmerituale. Gerade solche Fälle werden sehr oft heruntergespielt.

Institutionelle Probleme, etwa Racial Profiling, eine Täter-Opfer-Umkehr in der juristischen Auseinandersetzung oder die zunehmende Bewaffnung von Sicherheitsorganen statt auf Deeskalation zu setzen.

Konkrete Polizeigewalt und Morde.

Rechte Propaganda, etwa das Hören von Nazimusik, das zeigen des Hitlergrußes oder die Teilnahme an Nazidemos.

Die aktive Unterstützung rechter Strukturen, etwa durch illegale Beschaffung von Waffen.

Rechte Traditionen, etwa ein positiver Bezug auf Wehrmacht oder sonstige bewaffnete NS-Organe sowie die vor nicht allzu langer Zeit noch allgemein übliche Benennung von Bundeswehrkasernen nach NS-Militärs.

Und schließlich die aktive Bildung rechter Netzwerke.

 

Alles Einzelfälle?

Allein schon die Aufzählung zeige, wie absurd die immer wieder vonseiten der Politik und der Behörden vorgebrachte Einzeltäterthese sei. In Nordrhein-Westfalen etwa waren 2020 rechte Chatgruppen bei der Polizei medial bekannt gemacht worden, in denen circa 200 Personen aktiv waren. Diese Personen waren wiederum auch an anderen rechten Chats außerhalb der Polizei beteiligt, zudem befanden sich in diesen Chats wiederum V-Leute des Verfassungsschutzes. Dieses Beispiel zeige einen hohen Grad an Verflechtung der angeblichen Einzeltäter*innen, die zudem noch durch mangelnde Strafverfolgung in ihren Aktionen ermutigt werden  würden. Daher sei es auch irreführend in Bezug auf rechte Chatgruppen von Einzelphänomenen zu sprechen. Die Akteur*innen in diesen Gruppen seien vielmehr auch über andere Netzwerke außerhalb der Behörden vernetzt und würden sich im Anklagefall gegenseitig decken. Die Einzeltäter-Behauptung sei zudem oft nur eine Schutzbehauptung, die Behörden vorbrächten, um von ihrer strukturellen Verstrickung in rechte Netzwerke abzulenken.

Zudem müsse klar darauf hingewiesen werden, dass die meisten rechten Chatgruppen bei der Polizei nicht von der Polizei selbst aufgedeckt würden, sondern von Journalist*innen und Antifa-Akteur*innen. Die Politik verspreche zwar bei Bekanntwerden entsprechender Gruppen eine lückenlose Aufarbeitung, gleichzeitig werde aber den Mitgliedern in den Chatgruppen politische Rückendeckung verschafft: ihre Aktionen würden als Dumme-Jungs-Streiche oder reines Dampf-Ablassen verharmlost. Zudem bestehe das Problem, dass letztlich immer die Polizei gegen sich selbst ermittle. Es gebe keinerlei unabhängige Kontrolle und es entwickle sich innerhalb der Behörden eine regelrechte Wagenburg-Mentalität, die keinerlei Einmischung von außen zulasse. Teilweise würden Kolleg*innen gewarnt, wenn Kontrollen bezüglich der Chatverläufe anstehen. Die Strukturen seien so angelegt, dass eine effektive Aufarbeitung und Ahndung rechter Vorfälle verunmöglicht werden.

 

Das Verhalten der Justiz

Aber auch in der Justiz gebe es massive Probleme. Bei Angriffen von Nazis auf Journalist*innen wie etwa 2017 in Thüringen (Fretterode-Prozess) oder auch bei Verfahren gegen den Nazi Sven Liebich, würden systematisch rechte Gewalt und Propaganda verharmlost.  Zu milde Urteile würden gesprochen und die von Rechten ausgehenden Gefahren für die demokratische Gesellschaft nicht erkannt oder ignoriert.

Als einen besonders eindrücklichen Fall schilderten die Vortragenden eine rassistische Beleidigung in einer Straßenbahn in Halle von 2019. Ein Mann beleidigt drei Schwarze Personen und zeigt den Hitlergruß. Daraufhin schreiten zwei Passantinnen ein, die der Mann daraufhin angreift. Die Staatsanwaltschaft gibt im Gerichtsprozess den Frauen die Schuld dafür, dass der Mann sie angegriffen habe. Sie hätten sich ja passiv verhalten können. Der Täter wird freigesprochen.

Warum nun gehen die Sicherheitsbehörden so lax mit rechter Gewalt um? Die beiden Vortragenden erklären sich das mit einer „braunen Kontinuität“ in Deutschland. Aufgrund der nur ungenügend erfolgten Entnazifizierung und den bereits wenige Monate nach Gründung der Bundesrepublik erlassenen Amnestiegesetzen nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich in den Behörden nationalsozialistisches bzw. rechtsextremes Gedankengut weitgehend erhalten können. Und nach den Radikalenerlassen der 1970er Jahre seien wiederum links stehende Behörden-Mitarbeitende aus dem Dienst entlassen worden, wodurch rechte Akteur*innen in den Behörden noch mehr Einfluss bekommen hätten.

 

Der Kreislauf des Nichtstuns

Das Problem des fehlenden Umgangs mit rechter Gewalt in den Behörden bezeichneten die Vortragenden als einen „Kreislauf des Nichtstuns“. Um diesen zu durchbrechen, müsse das Problem rechter Netzwerke als Ganzes angegangen werden. Diese systematische Herangehensweise sei aber nur unter Einbeziehung der Gesellschaft zu erreichen. Akteur*innen gesellschaftlicher Gruppen müssten die Transparenz und Aufklärung rechter Gewalt immer wieder einfordern. Zudem müsse von der Politik die Freigabe von Akten erwirkt werden. Die Vortragenden können sich durchaus vorstellen, dass die gesellschaftliche Kontrolle der Behörden von zivilen Räten übernommen werden könnten. Sie verwiesen darauf, dass es in Großbritannien oder Dänemark bereits unabhängige Behörden gebe, die die Sicherheitsorgane kontrollierten, plädierten aber auch für die Möglichkeit, mehr parlamentarische Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Zudem müssten die Befugnisse der Sicherheitsorgane beschnitten werden. Darüber hinaus seien sowohl der Verfassungsschutz als auch das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr aufzulösen. Auch hier könne die Gesellschaft Aufgaben übernehmen.

Für lokale und regionale Antifa-Strukturen sei es zudem wichtig, sich nicht nur mit den Nazis selbst zu beschäftigen, sondern auch die jeweiligen Netzwerke zwischen Behörden und rechten Akteur*innen im Auge zu haben.

Eine Person im Publikum stellte die Frage, wie in diesem Zusammenhang das Verhalten der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu bewerten sei. Die Vortragenden beschrieben das Vorgehen der Ministerin als nicht ausreichend in diesen Kontexten. Zwar erwähne Faeser ein stärkeres Engagement gegen rechte Netzwerke, aber passiert sei noch nicht viel. Auf die Frage hin, ob die Vielzahl bekannt werdender Fälle nicht auch zu einer Abstumpfung der entsprechenden progressiven Kräfte beitrage, führte die Initiative an, dass es äußerst schwer sei, in den sich teilweise jahrelang hinziehenden Verfahren „am Ball zu bleiben“. Auf die Frage, wie mit Umsturztendenzen von rechten Gruppierungen umzugehen sei, verwiesen die Vortragenden auf die Rolle der AfD. Die Partei habe in den letzten Jahren viele Inhalte Rechtsextremer übernommen und im politischen Alltag salonfähig gemacht.

Der Vortrag verhandelte auf eindrückliche und leicht verständliche Weise das Problem rechter Netzwerke und Aktionen innerhalb staatlicher Behörden. Die Arbeit der Initiative wäre meines Erachtens auch noch weiteren gesellschaftlichen Kreisen bekannt zu machen, um auf breiterer sozialer Basis eine Sensibilität für das Thema zu schaffen.

Wichtig wäre noch gewesen, etwas über die Kontinuität rechter Gewalt in der DDR zu erfahren. Im Gegensatz etwa zu den (erst sehr spät geführten) Auschwitzprozessen in der Bundesrepublik hat es in der DDR nie eine systematische juristische Aufarbeitung des NS gegeben. Und mit Blick auf die Wahlergebnisse bei Landtagswahlen in Ostdeutschland wären auch hier weitere Informationen sinnvoll.

Hauke Heidenreich

… ist Mitglied der Transit-Redaktion und arbeitet als Historiker am Grünen Band Sachsen-Anhalt.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.