Das weiße Plebiszit

Über die Würde und das Gedenken an die NSU-Opfer

Auf die Umbenennung mehrerer Straßen der hallischen Innenstadt nach den Opfern der NSU-Morde reagiert die Lokalpresse mit Süffisanz und Doppelmoral. Bälter Sommer reagiert auf die Reaktion und hätte es am Ende doch lieber gelassen.

Stille

Enver Şimşek.
Abdurrahim Özüdoğru.
Süleyman Taşköprü.
Habil Kılıç.
Mehmet Turgut.
İsmail Yaşar.
Theodoros Boulgarides.
Mehmet Kubaşık.
Halit Yozgat.
Michèle Kiesewetter.

Als ihre Namen am Dienstagmorgen in zehn Straßen der hallischen Innenstadt und des Paulusviertels erschienen, war es still in der Stadt. Über Nacht hatten Unbekannte Straßenschilder überklebt und für mehrere Stunden standen die Namen der 10 bekannten Opfer der NSU-Morde mahnend in der Mitte des erwachenden Alltags. Die Stille hielt nicht lange.

Streit

Am Dienstagvormittag wurde damit begonnen, einzelne Aufkleber zu entfernen, teilweise wurden die tragenden Straßenschilder vollständig demontiert. Auch die Lokalpresse hatte das Thema für sich entdeckt und versuchte, die Stimmung im Viertel einzufangen: Die Umbenennung wurde anscheinend mit geringer Begeisterung aufgenommen, Sorge um Irritationen für Ortsfremde wurde geäußert. Im Online-Artikel der Mitteldeutschen Zeitung (MZ) waren diese Einlassungen von einem Abstimmungstool flankiert, durch welches die Leser_innen sich zur Aktion mittels eines Schiebereglers positionieren konnten. Pro und Kontra, eine kleine Volksabstimmung, Passant_innenbefragungen – alles ganz unschuldig.

Im Gegenteil! Wir können gerne davon absehen, dass der »Irgendwas mit Medien«-Reflex, über alles Mögliche online abstimmen zu lassen, gar nicht mal so originell ist – dann bleibt immer noch die überraschende Pietätlosigkeit, in der Sache nach Zustimmung oder Ablehnung der Umbenennungsaktion zu fragen, anstatt z.B. den Anlass zu nutzen, um selbst- und medienkritisch über die (im Vergleich mit einzelnen TäterInnen des NSU) relative Unbekanntheit der Opfer zu sprechen oder die mangelnde Repräsentation der Angehörigen in der Nebenklage des NSU-Prozesses. Da endet es allerdings nicht. Überraschend pietätlos ist es nämlich umso mehr, als dass am darauffolgenden Tag gleich zwei Artikel zum Vorfall in der MZ erschienen, die eben genau auf die moralische Fragwürdigkeit der Aktion abzuzielen scheinen. Zwar bemüht sich der Kurzbericht in seiner aktuellen Version (!) um eine differenzierte Abbildung der Stimmen, tappt aber in die gleiche Falle wie am Tag zuvor, konzentriert sich fast ausschließlich auf den Akt des Klebens und verschleiert die symbolische Ebene dahinter. Das jedoch widerspricht den Forderungen der Hinterbliebenen und ihrer solidarischen Unterstützer*innen. So wie die rassistischen MörderInnen endlich aus dem medialen Vordergrund gezogen müssen, sollte sich eine sensible Berichterstattung darauf verpflichten, den Abstimmungs- und Meinungsumfrageimpulsen zu widerstehen und entweder niemanden oder endlich mal die Richtigen zu den nicht ganz so falschen Fragen sprechen zu lassen. Stattdessen liefert die Lokalzeitung ein weiß-deutsches Plebiszit, in dessen Rahmen über die beeinträchtigte Funktionalität überklebter Straßenschilder sinniert wird. Was die Angehörigen selbst davon halten? In der MZ erfahren wir es nicht.

Und da liegt der eigentliche Skandal: Es sind die Opfer, deren Namen unbekannt und deren Angehörige ungehört sind. Ihre Namen sollen gehört und ihre Geschichten erzählt werden. Diese klaffende Leerstelle im öffentlichen Gedenken dann auch noch mit der Orientierungsfähigkeit besorgter Anwohner_innen und Ortsfremder, die an einem durchschnittlichen Dienstag die Stadt wahrlich nicht fluten, füllen zu wollen, ist mit hoher Sicherheit nicht im Sinne eines würdigen Gedenkens.

Sturm

Die Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der symbolischen Umbenennung kann natürlich ihren Platz bekommen, sollte sich dabei aber nicht auf das sehr dünne Eis begeben, Deutungshoheiten über die richtige Form des Gedenkens anzumelden. Bei einer nicht charitablen Lesart des Corpus Umbenennung, den uns die MZ dieser Tage bietet, geht es in alledem aber gar nicht um Auseinandersetzung, sondern um eine Abrechnung mit den mutmaßlichen Sachbeschädiger_innen. Nicht einmal der Bericht kommt ohne den Verweis auf omenhafte »Konsequenzen« aus, doch erst im Kommentar werden alle Register gezogen. Dort wird den Aktivist_innen ein »Hass auf alles Bürgerliche« attestiert, von dem allein sie »getrieben« sind, wird Geschichtsvergessenheit und Selbstgefälligkeit gewittert. Um das nochmals klar zu stellen: Eine Kritik an solchen Aktionen oder den Personen dahinter ist legitim – dann aber muss man vom Gedenken auch schweigen können. Man macht sich seinerseits der Instrumentalisierung schuldig, wenn man sich zum Anwalt der Opfer und des würdigen Gedenkens erklärt, in dieser Rolle aber mit aller Süffisanz über die Strafbarkeit öffentlicher Interventionen schreibt. Die Würde der Opfer wird eben nicht dadurch hergestellt, dass man den Versuch, sie überhaupt zur Sprache zu bringen, verunglimpft. Es geht deswegen auch nicht darum, Kritik, wie sie in der MZ veröffentlicht wurde, mundtot zu machen, sondern sie an ihren eigenen Maßstäben zu messen.

Richtiger wäre es vor diesem Hintergrund vielleicht gewesen, den eigenen (anti-anti-bürgerlichen?) Groll über Sachbeschädigungen beiseite zu lassen und z.B. die Erklärung der Interventionistischen Linken Halle zu beachten, die in der Umbenennung, alles andere als selbstgefällig, nur einen ersten und geringen Schritt des Gedenkens und Mahnens sieht und die mehr als zügige Demontage der Schilder als traurig-treffliches Beispiel für den Umgang mit den Opfern des NSU beschreibt. Stattdessen heißt es im erwähnten Kommentar zur Umbenennung weiter, die Namen der Opfer »auf schiefe Klebeband-Bahnen zwischen Straßenbahnhaltestellen und der Bäckerei an der Ecke aufzubringen«, sei ihrer unwürdig.

Schweigen

Man möchte daraufhin einwenden, dass es genau diese Banalität und Alltäglichkeit ist, aus der heraus die Opfer gerissen wurden – aus Kiosken, Blumenläden, Internetcafés – und in die hinein ihr Gedenken getragen werden muss – jeden Tag und immerzu, bis es die dringend nötige Aufklärung im NSU-Komplex gibt. Oder man möchte beklagen, dass auch die weitere Berichterstattung zu Aktionen im Thema NSU Sachkenntnis, Differenzierung, Neutralität und Fokussierung auf das Wesentliche vermissen lässt. Und gleichzeitig hält man es für unerträglich, dass nun doch wieder die weiße Mehrheitsgesellschaft – ja, auch das Transit Magazin ist Teil davon – darüber streitet und herumdeutelt, wie mit den Betroffenen von rassistischer Gewalt umgegangen werden soll, als wenn sie es nicht selbst sagen könnten. Am besten wäre daher wohl das gewesen, was die Veranstalter_innen der Demonstration zur Urteilsverkündung am Mittwoch versucht haben:

Zuhören. Und Schweigen.

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