Das Elend linker Kritik am Beispiel des hallischen Zukunftszentrums
Über das Betteln nach „besserer“ Herrschaft
Ein Kommentar in Reaktion auf den Artikel „Wessen Zukunftszentrum?“
Vor einigen Tagen erschien im Transit Magazin ein Artikel mit dem Titel „Wessen Zukunftszentrum?“. Dieser bringt einen latenten Vorwurf mit sich, der sich durch den gesamten Artikel zieht: Es wurden nicht alle mitbedacht. Es ist nicht inklusiv genug, es gibt bisher keine inhaltliche Darstellung von dem, was dieses Zukunftszentrum leisten wird. Da weint das Auge eines manchen Linken, dass zwar die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen klar sind, aber nicht die inhaltliche Ausgestaltung feststeht! Und dass man jetzt schon befürchtet, dass manche Bevölkerungsteile der Stadt Halle außen vor bleiben.
Wenn das im Großen und Ganzen alles ist, was man diesem geplanten Symbol der nationalen Einheit vorzuwerfen hat und alles, was damit in Verbindung steht, ist es ein lupenreiner Ausdruck des Zustands der Linken in dieser Republik: Der Ruf nach „gelungenerer“ Herrschaft über das Staatsvolk.
Wenn 1990 diverse Linke noch vor den Folgen und Auswirkungen eines Großdeutschlands warnten, sorgt man sich heute doch sehr um diese nationale Einheit. Und nicht nur um die, sondern auch um die Demokratie! Die musste in diesem Landesteil erst noch erlernt werden und trotz aller Bemühungen wollen die Ostdeutschen dieses Konzept anscheinend nicht verstehen. Werden Wahlergebnisse ausgewertet, rassistische Übergriffe im Osten des Landes begangen und analysiert, kommen viele Menschen, ob politisch berufstätig oder nicht, oft zu dem Schluss, dass da einfach ein gewisses Demokratiedefizit vorhanden ist und die Ursache allen Übels ist ausgemacht.
Sei es drum, in einer Demokratie müssen immer mal wieder Zeichen gesetzt werden, insbesondere da, wo sie anscheinend aus dem Augenmerk verschwindet oder nie ganz angekommen ist und nach 35 Jahren Wiedervereinigung durften sich verschiedene Städte der ehemaligen DDR bewerben, um einen millionenschweren Betonklotz in die Innenstadt gehämmert zu bekommen. Hat dieser Betonklotz ästhetisch eventuell viel mit der Neustadt in Halle zu tun, soll er aber doch ein „Ort für Diskurs, Wissensvermittlung, zur Stärkung der Demokratie und des Zusammenhalts zwischen Ost und West“ sein. Etwas, das Halle-Neustadt nie war und bis heute auch nicht ist.
Schreibt der Autor in seinem Text von einer „Überwindung der Wendeungerechtigkeit“, würde mich interessieren, wie eine „gerechte Wende“ ausgesehen hätte. Unter der Betrachtung, dass jeder Arbeitsplatz staatliches Eigentum der DDR war und es in der Bundesrepublik wichtig ist zu betonen, dass die Wirtschaft „frei“ ist: Wie hätten sich Massenarbeitslosigkeit und das Plattmachen ganzer Industrielandschaften verhindern lassen unter den neu eingetretenen Gesichtspunkten der bundesdeutschen Ökonomie? Ist es vermessen, den Gedanken in Betracht zu ziehen, dass die Kosten
der „bürgerlichen Freiheit“ (z.B. Reisefreiheit) eine wirtschaftliche Unfreiheit für den Einzelnen mit sich brachten, wodurch Existenzen und Familien zerbrachen, da man schlichtweg auf staatliche Almosen angewiesen war und, plakativ ausgedrückt, man vor Hunger nicht scheißen konnte? Was bringt Reisefreiheit, wenn das Amt deine Miete übernimmt? Aber Gott sei Dank, Deutschland ist eins.
„Betroffene gesellschaftliche Gruppen“ müssen doch integriert werden in die Arbeit dieses Zentrums. Natürlich, dann wird die Armut der vergangenen Jahrzehnte vergessen. Und selbst wenn nicht, ganz in demokratischer Manier: „Wir wissen, welche Opfer ihr gebracht habt. Sorry, dass ihr immer noch außen vor seid. Aber hey, schaut doch, wir bauen das für EUCH.“ Auch jetzt dürfen Fehler gemacht werden, denn das unterscheidet die demokratische Gesellschaft von anderen: über Fehler kann man immerhin reden. Es macht zwar nichts besser und man war sich eventuell von vornherein im Klaren, was man hier verzapft, aber man darf sich immerhin entschuldigen und in den Austausch gehen.
Mehr „Bürger*innenbeteiligung“ muss stattfinden. Nicht nur Intellektuelle und Kunstschaffende dürfen sich im Zukunftszentrum wiederfinden, auch normale Arbeiter*innen und Lohnabhängige müssen daran teilnehmen. Man sollte ihnen doch danken für die Opfer, die sie und ihresgleichen gebracht haben, damit der Laden rundläuft. Damit auch sie sich als gutes und funktionierendes Rädchen im Getriebe der BRD wiederfindet. Was sollten sie auch sonst wollen?
„Die Ungleichverteilung von Gestaltungsmacht zu reproduzieren“, davor warnt der Autor gegen Ende seines Textes. Würde man dies berücksichtigen, wäre schon viel gewonnen, da an ALLE gedacht werden würde. Warum eigentlich? Ach ja, der nationalen Einheit wegen. Abseits davon, ist es wie oft in linken Kreisen: Man redet über die Reproduktion ohne einmal über die Produktion gesprochen zu haben.
Man kommt nicht umhin, mal wieder den Begriff der Erinnerungskultur zu nutzen. Die ist eine feste Variable in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung. Sie verhindert keine neuen Verbrechen. Sie vermittelt aber jedem, von Schulbeginn an, dass WIR (die Bürger*innen dieser Republik) aus der Geschichte gelernt haben. Was genau gelernt wurde, darüber redet man selten, aber man weiß: So wie damals auf jeden Fall nicht. Ein nettes Paradoxon hat sich über die Jahrzehnte entwickelt: Der Stolz auf die Scham. Mit so einem Erfahrungsschatz als moderne Nation kann man auch gern den imperialistischen Führungsanspruch in der Welt untermauern und ausleben. In voller Staatsräson muss die Ukraine verteidigt werden bis zum letzten Ukrainer und Israel muss seine Feinde bekämpfen und am besten auslöschen, auch wenn es damit Großteile seiner Jugend tötet und traumatisiert. Aber WIR wissen zumindest, wofür diese Opfer gebracht werden.
„Es geht also sehr wohl darum, diese Leerstelle zu füllen – nur eben mit einer ehrlichen Auseinandersetzung, Schuldeingeständnissen und Reparationen und nicht mit nationalistischen Identitätsdebatten.“ Genau, diese Identitätsdebatte erledigt sich, denn wir wissen, wer wir sind und dieses Zukunftszentrum wird alle daran erinnern, ob sie wollen oder nicht. Sie wird auch nirgends eröffnet, das tun ganz andere. Es sind 35 Jahre vergangen seit der sogenannten Wiedervereinigung und Linke fordern „Aufarbeitung“. Wovon? Vom Kapitalismus und dem Treiben moderner Nationalstaaten? Fangt mal an.