Das bürgerliche Koordinatensystem ist verunsichert

Ein Kommentar zur Buchmesse Teil 2

Am Samstag gab es auf der Leipziger Buchmesse Widerspruch gegen Verlage der Extremen Rechten. Die Diffamierung des Widerspruchs als „antidemokratisch“ ist der tatsächliche Anfang vom Ende des Diskurses. Warum zweifeln immer mehr Stimmen der Öffentlichkeit daran, dass es legitim ist, Faschisten bei ihren Aktionen zu stören?

Einiges war da los. Für großen Andrang sorgte eine Kundgebung der Interventionistischen Linken, die in unmittelbarer Nähe zu Antaios, Compact und Co. ein hölzernes Schwert an den „Ritter Götz“ verlieh. Die Aktion sollte die Selbstinszenierung des Ziegenbesitzers karikieren und gleichzeitig den Fehler vermeiden, der Öffentlichkeit die falschen Bilder zu liefern. Mehrere hundert Leute kamen hier zusammen und applaudierten lautstark.

Während die radikale Linke nun darüber diskutiert, ob das eine gute oder eine schlechte Aktion war, blickt die bürgerliche Öffentlichkeit auf das was später geschah und hat dabei ganz andere Sorgen. Sie markiert den Feind am linken Rand und sieht in Gefahr, was ohnehin nichts weiter als ein Fetisch ist: Den „offenen Dialog“. Denn, so der Hauptvorwurf, die Linken hätten ein grobes Problem mit der „Meinungsfreiheit“. Die Linken würden ihre Macht nutzen, die Rechten mundtot zu machen, seien aber selbst das wahre Problem für Demokratie und Rechtsstaat. Von dieser Erzählung kursieren in der Presseberichterstattung zwei Versionen. Die eine erzählt eine Provinzposse von sich prügelnden Verrückten, die unsere schöne Buchmesse kaputt machen, freut sich aber offenbar insgeheim über die Bilder von der Action. Die andere Version ist ein bisschen mehr sophisticated und sie beklagt den Verlust von Ordnung und Dialog in der Gesellschaft. Dazu stellt sie raunend die Frage, ob man die linke Meinungshegemonie nicht langsam mal doch ein bisschen begrenzen sollte.

Die Story von den Antidemokraten

Was war denn nun passiert? Die Veranstaltungen des Verlags Antaios auf der Leseinsel wurden von Sprechchören gestört und dadurch verzögert. Umherstehende empörten sich, die Störer*innen seien antidemokratisch, denn sie würden ihre politischen Gegner nicht zu Wort kommen lassen.

Das wäre alles nicht mehr als eine Randnotiz wert, wenn die bürgerliche Öffentlichkeit dieses Szenario nicht dankbar aufgreifen würde. Dankbar über eine Story von der Spaltung der Gesellschaft, deren Pole sich nun gegenüber stehen, auf der einen Seite als „rechtskonservative Verleger“ und „intellektuelle Rechte“ sowie auf der anderen Seite als „die Antifa“ oder „die Linke“. Beide Seiten möchte man eigentlich höchstens mit der Kneifzange anfassen, wobei klammheimliche Sympathien für den ersten Pol zu spüren sind.

Der Mitteldeutsche Rundfunk erzählt dazu eine Provinzposse von den sich rangelnden Rechten und Linken und bringt sie auf der Startseite ihrer Homepage als erste Meldung. (By the way: Man mag widersprechen, es handele sich beim Rechtsruck in Deutschland keinesfalls um eine Provinzposse, aber genau so werden die Ereignisse nunmal hier erzählt: Als Kabbelei zwischen Bekloppten.) Die Story beginnt mit den Parolen rufenden Linken, die die Veranstaltung eines Verlegers stören. Im Kontrast dazu stehen die gescheitelten Jungs, die nur Schilder hochhalten. Artig werden in Bildunterschriften die gezeigten Parolen wiederholt.

Der MDR hätte diese Geschichte auch am Donnerstag beginnen lassen können, als Götz Kubitschek eine spontane Diskussion mit zwei Schülern abbrach, oder an einem der darauf folgenden Tagen als Kubitschek, Kositza und Co. Veranstaltungen und Stände von linken Verlagen besuchten um zu pöbeln. Das wurde geschickt abmoderiert. Der rechte Tross verließ die Veranstaltungen wieder, ohne jemals ein Interesse an einem Dialog gehabt zu haben.

Die Berichterstattung zu solchen Ereignissen könnte aber auch generell weg von der Sensationsgier um die „Tumulte bei Protesten gegen rechte Verlage“ und hin zu mehr Kontextualisierung gehen. Das hieße dann aber die Strategie der „Neuen Rechten“ ernst zu nehmen, also zu begreifen und zu erläutern, dass diese es verstanden haben, ihre Rhetorik, je nach Resonanzraum anzupassen; sie fordern im Buch fürs eigene Milieu das Ende des Diskurses als Konsensform und beklagen auf der Buchmesse die fehlende Dialogbereitschaft derjenigen Leute, die man seit Jahren zum Feind erklärt.

Was ist bloß mit der „bürgerlichen Mitte“ los?

Warum ist es so schwierig geworden, ein entschlossenes, antifaschistisches „Nein“ in der Öffentlichkeit als legitim darzustellen? Vor ein paar Jahren noch machten sich regelmäßig tausende Menschen auf den Weg nach Dresden um dort den größten Naziaufmarsch Deutschlands – damals übrigens mit Beteiligung von Götz Kubitschek, Ellen Kositza und Björn Höcke – einzukesseln und nicht laufen zu lassen. Die konservative Presse fand das auch nicht gerade gut, aber die Grundwerte unserer Gesellschaft wurden aufgrund der Proteste auch nicht in Gefahr gesehen. Heute reicht es wenn ein paar dutzend Leute während einer Vortragsveranstaltung der Extremen Rechten Parolen rufen, um das bürgerliche Koordinatensystem zu verunsichern. Doch eine Lesung von Kubitschek, Kaiser, Pirinçi und Co. Verhält sich zu einem geschichtsrevisionistischen Naziaufmarsch in Dresden so, wie der Begriff der „Reconquista“ zur Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“

So geschehen in der Tageszeitung Die Welt, deren Kommentatoren wilde Kausalketten aufmachen: Kubitschek will eine Veranstaltung machen – Antifa eskaliert die Situation – das ist linke Gewalt (siehe irgendeine Schlägerei Anfang der 90er Jahre, siehe ein dubioser Fall angeblicher Sprengstoffmittelherstellung eines Linken in Thüringen), nicht besser als die „Gruppe Freital“ und jetzt sollten sich mal alle von SPD bis LINKE an die eigene Nase fassen. So geht Diskursverschiebung, während bei Antaios darüber diskutiert wird, wie Abstammung und ethnische Herkunft zum Dreh- und Angelpunkt von Staatspolitik gemacht werden kann

Wie man sich am Nasenring durch die Arena ziehen lässt

Um es klar zu sagen: Am Buchmessensamstag gab es keine Gewalt von linker Seite und welches zarte Gemüt die Scharmützel einen „Tumult“ nennt, dem sei dazu gratuliert, niemals einen richtigen Tumult hautnah erlebt haben zu müssen. Am Samstag führte der Antaios-Verlag zwischen 16.30 Uhr und 17.30 Uhr zwei Veranstaltungen durch. Die wurden von Antifaschist_innen mit Zwischenrufen und Sprechchören gestört. Für etwa 15 Minuten, was ein bisschen Verspätung zur Folge hatte. Es wurde nichts verhindert, es wurde nichts beschädigt (jedenfalls nicht vom Gegenprotest).

Die Anhänger_innen der rechten Verlage und ihre Kritiker_innen standen sich natürlich länger gegenüber, unübersichtlich und verstreut in der Menge, jedoch umzingelt von den Jungfaschisten der Identitären Bewegung, aber die Veranstaltungen des Antaios-Verlags fanden statt. Komisch, dass man das betonen muss. Und komisch, dass das die selbstzufriedene „Mitte“ von Kubitscheks taktischem Ruf nach „Dialog“ und „Meinungsfreiheit“ derart bezuckert ist, dass sie nicht merkt wie sie zu seinem Erfüllungsgehilfen wird.

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