Dancing in the Streets!

Demonstration der freien Musikszene Halle am 9. Juli 2022

von | veröffentlicht am 08.07 2022

Beitragsbild: IG Musikveranstaltende | CC BY 2.0

Am 9. Juli 2022 gehen Veranstalter*innen und freie Musiker*innen aus Halle auf die Straße, um zusammen zu musizieren und so für den Erhalt der Kultur in der Stadt zu demonstrieren. Organisiert wird die Aktion unter dem Motto „KLANGKARAWANE. Musikkultur ist kein Selbstläufer“ von der Interessengemeinschaft (IG) Musikveranstaltende, die letztes Jahr als Selbstorganisation der freien Kulturszene in Halle entstanden ist. Die Parade startet 15 Uhr auf der Ziegelwiese.




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Erst kürzlich betonte Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD), wie zentral in Sachsen-Anhalt die Kulturarbeit für die Gesellschaft sei. Natürlich meinte Willingmann hier v.a. das Ehrenamt, das man im Gegensatz zur angeblich schlecht wirtschaftenden Uni ja glücklicherweise nicht bezahlen muss.

 

Prekäre Kultur

Deutschland wird bekanntlich immer wieder als das Land der Dichter und Denker hochgelobt und doch scheint es, als hätten Kunst und Kultur hierzulande viele Gegner. Durch die Gentrifizierung ganzer Stadtteile sowie mangelnde politische Unterstützung müssen immer wieder Veranstaltungsorte schließen, wie etwa vor Jahren bereits der Club 4Rooms im Leipziger Stadtteil Reudnitz, in Halle die Hasi, das LaBim und kürzlich die Schorre.

Um Kultur im öffentlichen Raum zu unterbinden, werden teilweise stark einschränkende  Maßnahmen erlassen, die das Austragen von Musikveranstaltungen oder Open-Air-Festen erheblich behindern. Im Allgemeinen scheint in Halle seit Jahren ein Trend beobachtbar zu sein, kleinere Veranstaltungsorte aus der Innenstadt zu verdrängen, die man dann nur via teurem ÖPNV erreichen kann.

Speziell seit der Corona-Pandemie haben sich die Bedingungen für die Kulturszene noch einmal weitaus verschlechtert. Bereits im Spätsommer 2020 diagnostizierte etwa die Musikerin Mine eine akute Gefahr für die kulturelle Diversität in Deutschland. Veranstaltungsorte und Musikmachende würden mehr oder weniger sich selbst überlassen und bekämen keine ausreichenden Finanzhilfen. Auch im Jahr 2022 kritisierten Veranstaltungsorte und Künstler*innen, dass trotz wohlklingender Bekundungen der Politiker*innen immer noch keine ausreichenden Geldmittel zur Verfügung gestellt würden, um die ausgebliebenen Einkünfte zu kompensieren, zumal die  Besucher*innenzahlen bei Konzerten teilweise weiterhin sehr niedrig blieben. Streaming ist für die meisten Musiker*innen, wegen unfairer Geldverteilungsquoten der Streamingplattformen, die praktisch nur Major Labels berücksichtigen, zudem kein Ersatz. Eine restriktive Kulturpolitik von oben tut ihr Übriges.

 

Zusammen statt einzeln

Um die vielen unterschiedlichen Initiativen der freien Kunstschaffenden zusammen und miteinander ins Gespräch zu bringen, etablierte sich 2021 die Interessengemeinschaft (IG) Musikveranstaltende in Halle unter der Ägide des Peißnitzhauses, in der sich hallesche Clubs und Veranstaltungsorte organisierten, um sich kennenzulernen, zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen. Die IG veranstaltet nun am 9. Juli 2022 eine große Aktion unter dem Motto „KLANGKARAWANE. Musikkultur ist kein Selbstläufer“, um gemeinsam in der Öffentlichkeit aufzutreten und Musik zu machen. Der Demozug aus Bands, DJ´s und Redebeiträgen wird 15 Uhr mit vier großen Wagen auf der Ziegelwiese starten, sich durch die Innenstadt zum August-Bebel-Platz bewegen und dann gegen 19 Uhr am Steintor enden. Beteiligt sind u.a. der Lila Drache, der MACH e.V., die Station Endlos, die Galle, Unerhört, das Peißnitzhaus, das Querbass-Kollektiv sowie die Volksbühne am Kaulenberg. Auf dem Wagen der Galle etwa werden die Bands Der Rand (Noise Pop from Hell!), Fortschritt Experimental und Aservatenkammer (Punk) auftreten.

Im Gespräch mit der Transit-Redaktion erzählte die Koordinatorin Nadia Schmidt, es gehe vor allem darum, der freien Szene in Halle eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen, aber auch die Zusammenarbeit innerhalb der Szene zu organisieren, etwa durch gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen. Weiterhin fungiere die IG nicht nur als Interessenvertretung der Musikkultur in Halle, sondern v.a. auch als Anlaufstelle für die Verwaltung sowie Politik der Stadt, mit der man einen kooperativen Austausch anstrebe. Es gehe darüber hinaus auch darum, mit anderen IG ́s in Halle und Sachsen-Anhalt ins Gespräch zu kommen und das Wissen durch Erfahrungsaustausch und gemeinsame Workshops zu erweitern. Schließlich sei die Produktion einer Podcastreihe geplant. Allgemein werde die Etablierung der IG Musikveranstaltende durch viele politische Akteur*innen in der Stadt sehr begrüßt, die Vernetzung vereinfache vielen Kulturschaffenden die Arbeit, die oftmals ehrenamtlich stattfinde. An einigen Stellen könnten auch hier von Seiten der Politik noch weitere Geldmittel zur Verfügung gestellt werden, um Projekte umsetzen zu können. Die Kulturbranche sei auf Fördermittel angewiesen, ein Dialog zwischen den Kulturschaffenden und den politischen Stellen sei daher ausdrücklich erwünscht, betont Schmidt weiter. Der Dialog untereinander und die bessere Vernetzung der unterschiedlichen Veranstaltungsorte seien essentiell, um gemeinsame Veranstaltungen umzusetzen. Die Aktion am 9. Juli trete daher ausdrücklich als eine gemeinsame Parade auf, in der die Musikmachenden sich als kollektiv agierende Gruppe von Kreativen präsentieren wollen.

 

Organize!

Es ist klar, dass viele Probleme in Halle, über die das Transit-Magazin bereits berichtete, wie etwa der Ausverkauf von Wohnraum oder die Unterfinanzierung der Universität, auch die Kulturszene in Halle zentral betreffen. Proberäume für Bands, Grundstücke und Immobilien für Konzertlocations, aber auch die potentiellen Besucher*innen von Konzerten (nämlich z.B. Studierende), werden durch eine sich an neoliberalen Grundsätzen orientierende Stadtpolitik immer knapper. Die Pandemie ist dabei nur eine Verschlimmerung einer bereits vorher bestehenden Situation. Die von Mine angesprochene Diversität freier und staatlicher Spielstätten, die mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet werden müssen, ist dabei ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt. Längst haben die Rechten zum Angriff auf den freien Kulturbetrieb geblasen, den man „deutschen Interessen“ unterordnen müsse. Es ist klar, was dies meint: Zensur des Theaters und Beschneidung der künstlerischen Freiheit, mit anderen Worten „Cancel Culture“! Die Kulturszenen der Stadt dürfen weder den Rechten, noch einer dagegen zögernden Politik oder dem freien Markt überlassen werden. Aktionen wie die geplante Demo der IG sind daher nur zu begrüßen und es bleibt zu wünschen, dass sich Musiker*innen und Locations stärker organisieren, um auch politische Interessen hörbar zu formulieren und durchzusetzen.

Hauke Heidenreich

ist Historiker am Grünen Band, Mitglied der Transit-Redaktion und zudem seit mehreren Jahren in Halle als Hobbymusiker tätig, derzeit als Sänger/Bassist der Indierockband schattenmorellen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.