Cruising im Museum

Bei Darstellung von Homosexualität ist die "Grenze der Kunst" in Süd-Sachsen-Anhalt offenbar schnell erreicht

von | veröffentlicht am 05.06 2018

Beitragsbild: Silas Schmidt von Wymeringhausen

Die Debatte um die künstlerische Arbeit "Cruising" des Buchkünstlers Silas Schmidt von Wymeringhausen in der Ausstellung „generell frisch“ des Berufsverband Bildender Künstler (BBK) Sachsen-Anhalt ist Ausdruck zweier aktueller gesellschaftlicher Problemlagen: des Unterschiedes zwischen Stadt und Land und einer Debattenkultur, die es immer stärker erlaubt, offensiv auch gegen Lebensentwürfe jenseits der heterosexuellen Norm vorzugehen.




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Cruising

Damals schamlos und stolz. mustere ich die zerrissene Hose viel zu engen, mit Grasflecken übersäten Hose. die mittagssonne in die halme und blumen. Entrollen des Gummis und die Beule in seiner Hose „Sei doch nicht so.“ schleime ich. „Lass mich an die mauer Gedanken Dienstgeheimnis feuchter, erdige Geruch ein nächtebuch dass jemand Sex im Park hat. Die Adern und Muskelstränge, AUS MEINER HAND fetten, zuckenden, pulsierenden, roten, geäderten steif gewordenen Schwanz. Lau stach das licht durch die wolken, Glanz überm sonntag. Ich heb den Arsch an; schieb die Jeans runter. Als er mir einen Finger in den Arsch schob, Weißt du noch, wie wir rutschten ein zweiter und ein dritter Finger nach reibt seine Latte noch und spritzt dann stöhnt er laut im holz.

Einer der Texte aus der Arbeit „Cruising“. Silas Schmidt von Wymeringhausen 2018.

Cruising bezeichnet eine schwule Kulturtechnik. In vielen Städten gibt es sogenannte Cruising Areas, die unter schwulen Männern bekannt sind, wo man sich zum unkomplizierten Sex treffen kann. Diese Orte hat Silas Schmidt von Wymeringhausen aufgesucht und beschreibt sie nun in 5 Schulstichheften mit Fotos, Zeichnungen und Textcollagen. Daran zieht sich der Skandal hoch. Frau Dr. Heise, Rektorin des Kulturhistorischen Museums Schloss Merseburg hatte die Arbeit nach ihrer ersten Ansicht abgelehnt, da sie sie für „abartig“ halte. Kompromissbereit hatte Schmidt von Wymeringhausen eingewilligt, die Hefte statt wie vorgesehen offen, so dass darin geblättert werden kann, nun in einer Vitrine auszustellen. Seine Bedingung dazu war, dass der Veranstalter der Ausstellung, der BBK Sachsen-Anhalt, die Vorfälle zumindest unter den beteiligten Künstler*innen kommuniziert. Dies war nicht passiert, stattdessen sei – ohne den Vorfall klar zu benennen – bei der Ausstellungseröffnung eine fadenscheinig Rede über „Grenzen der Kunst“ gehalten worden. Später hatte sich der BBK in einer Pressemitteilung doch noch zu den Vorfällen geäußert, sich dabei aber vor allem auf den Jugendschutz bezogen.

Mehr zu den Arbeiten des Künstlers:

Versuch eines Gesprächs

Am Dienstag, 22.05.18 fand nun als Reaktion auf die Vorfälle eine Podiumsdiskussion an der Hochschule Merseburg statt, organisiert und moderiert von Sexualwissenschaftler Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß. Ziel war es, die beteiligten Akteur*innen miteinander ins Gespräch zu bringen und möglichst produktiv mit den Geschehnissen umzugehen . Doch anders als gehofft, stellte sich Frau Dr. Heise oder ein*e andere*r Vertreter*in des Museums leider nicht der Diskussion. So lud man schließlich statt ihrer die inhaltlich fachkundige Maike Wolf, Bildungsreferentin beim Netzwerk Weltoffener Saalekreis als vierte Podiumsteilnehmerin. Silas Schmidt von Wymeringhausen war natürlich ebenfalls auf dem Podium und stellte noch einmal seine Arbeiten sowie seine Sicht auf die Ereignisse dar. Als Experte für die Ausstellung homosexueller Inhalte war Heiner Schulze vom Schwulen Museum Berlin anwesend. Fotokünstler und Vorstandsmitglied René Schäffer vertrat den BBK. Diskutiert wurde anhand dreier Stränge. Wie bei der Eröffnungsrede ging es um die Grenzen von Kunst: wie explizit kann Sexualität dargestellt werden? Handelt es sich bei der Arbeit um Pornografie? Immer wieder aufgeworfen wurde die Frage, ob der Stein des Anstoßes die explizite Sexualität an sich oder die explizit homosexuelle Sexualität bildet. Daran geknüpft ist die homophobe Aussage der Museumsrektorin. Desweiteren wurde über die Problematik des Jugendschutzes diskutiert. Wie kann gesichert werden, dass Kinder und Jugendliche keinen verstörenden Bildern und Texten ausgesetzt werden? Werden sie das überhaupt? Und welche Jugendliche sollen eigentlich vor was geschützt werden? Den dritten Strang bildete die Begriffsdiskussion um das Wort „abartig“, welches aus nazistischem Sprachgebrauch stammt, bzw. dem Begriff ‚entartet‘ in seiner biologistischen Bedeutung von „jenseits der Art“ verwandt ist.

Grenzen von Kunst

Ob es wirklich um die Grenzen von Kunst geht, sprich des Tabubruchs durch die explizite Darstellung von sexuellen Handlungen und das zudem in recht derber und ungeschönter Sprache, oder eigentlich im Speziellen um die Darstellung von homosexuellem, mehr noch von schwulem Sex ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der Debatte. Hier gehen die Meinungen der Podiumsteilnehmer*innen auseinander. René Schäffer betonte im Verlauf der Diskussion immer wieder, dass es lediglich um die Darstellung von Sex ginge. Intimität habe in der Öffentlichkeit nunmal nichts zu suchen und verursache, sobald es doch in dieser Sphäre auftauche, eben einen Wirbel, mit dem der*die Künstler*in dann auch umgehen müsse. Heiner Schulze widersprach und argumentierte unter anderem mit dem Beispiel von ‚Feuchtgebiete‘ von Charlotte Roche. Hier habe es auch Debatten gegeben über weibliche Sexualität, ebenfalls über die Grenzen des Darstellbaren, aber in keinster Weise so etwas wie Zensur, wie sie im vorliegenden Fall vorgenommen wurde. Zur Veranschaulichung der Qualität der Explizität ein Textauszug: „Ich fordere ihn schon bei einem der ersten Sexe zu meiner Lieblingsstellung auf: ich in Doggystellung, also auf allen vieren, Gesicht nach unten, er von hinten kommend Zunge in die Muschi, Nase in den Arsch, da muss man sich geduldig vorarbeiten, weil das Loch ja von dem Gemüse verdeckt wird. Die Stellung heißt „Mit-Dem-Gesicht-Gestopft“. Hat sich noch keiner beschwert.“ Im September 2008 war Feuchtgebiete im Übrigen am Thalia Theater Halle uraufgeführt worden. Soweit von heute aus nachvollziehbar, hatte es damals großes mediales Interesse gegeben, wie wohl die starke Körperlichkeit und die mit Ekel in Verbindung gebrachten sexuellen Handlungen auf der Bühne dargestellt werden würden. Eine ähnliche Skandalisierung oder gar eine drohende Zensur gab es nicht, im Gegenteil: Das Stück lief mindestens ein Jahr. Heinz-Jürgen Voß führte ebenfalls als Gegenbeispiel die nur einige hundert Meter vom kulturhistorischen Museum entfernte Willi Sitte Galerie an, in der es zahlreiche Darstellungen von Vulven, auch in sexueller Aktivität, gäbe. Auch hier – kein Skandal.

Jugendschutz

Juristisch und gesellschaftlich interessanter wird es beim Thema Jugendschutz. Der Schutz der Jugend vor pornografischen Inhalten ist der zumindest vordergründig große Aufreger in der Debatte. Hier sind sich alle Beteiligten einig: die Arbeit muss in der Ausstellung kontextualisiert werden, ggf. hätte man einen Hinweis im Bereich der Arbeit anbringen können. Interessante Überlegungen zum Thema fügten Heiner Schulze und Maike Wolf an: Sie betonten, dass mit Jugendschutz alle Jugendlichen gemeint seien, auch queere Jugendliche, die gerade im kleinstädtischen bis ländlichen Raum oftmals eher Diskriminierung bis hin zu Gewalt ausgesetzt seien, müssten geschützt werden. Diesen Jugendlichen könnten Exponate wie „Cruising“ helfen, zu merken, dass sie nicht alleine sind. Eine Besucherin der Veranstaltung, offenbar juristisch geschult, begründete anhand Gesetzesauslagen, dass es sich bei den Texten und Collagen der Arbeit nicht um Pornografie handele.

Homophobe Begriffsverwendung

René Schäffer betonte während der Veranstaltung mehrmals, der Begriff abartig sei nach einer Art Reiz-Reaktions-Schema gefallen: ‚Wenn ich die Grenze von jemand anderem überschreite, muss ich mit heftig hervorgerufenen Reaktionen rechnen‘. Ganz anders sieht das Heinz-Jürgen Voß. Ihm gab es zu denken, dass Begriffe wie abartig scheinbar so Nahe liegen, dass man sie einfach so verwenden könne. Heiner Schulze wurde noch deutlicher: Es gehe bei der ganzen Debatte sicher um Sexualität, aber auch definitiv um eine bestimmte Art von Sexualität. Sie schließe an einen existierenden Diskurs an, in dem gewisse Arten von Sexualität stärker kriminalisiert werden. Die Geschichte des Begriffs ‚abartig‘ sei verknüpft mit dem Paragraf 175, bzw. 175 a – der in den 50ern mit dem Begriff abartig erneut legitimiert worden war, so Schulz. Selbst wenn man solche Kunst als Kunst scheiße fände, sei es absurd, dass man 2018 darüber reden müsse, ob es ok sei, Begriffe aus dem NS-Jargon zu verwenden.

Fazit

Immer wieder ging es am Rande der Veranstaltung auch um die geografische Situiertheit des Skandals. Merseburg ist eine kleinere Stadt in Süd-Sachsen-Anhalt. Es ist kaum vorstellbar, dass eine ähnliche Debatte in Berlin hätte stattfinden können. Obwohl Frau Dr. Heise als Museumsrektorin sicher einen breiten Horizont aufweisen kann, ist es in Merseburg offenbar möglich, gegenüber Homosexualität mit Begrifflichkeiten zu operieren, die in Debatten des 21. Jahrhunderts nun wirklich nichts zu suchen haben. Denkbar ist aber leider auch, dass es weniger mit dem eher konservativen Land bzw. kleinstädtischen Milieu zu tun hat, als viel mehr mit dem allgegenwärtigen konservativen Rollback, der es offenbar erlaubt, Begriffe wie den Gefallenen zu verwenden, ohne in der Lage zu sein, das Gesagte in irgendeiner ernsthaften Weise zu reflektieren.

Die gesamte Diskussion kann hier angesehen werden:

Videomitschnitt der Veranstaltung: „Objekte der Begierde“ Über die Möglichkeiten der Kunst, unterschiedliche Positionen…

 

 

 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.