Cosplay mit dem Grundgesetz
Ein Kommentar zur Buchmesse - Teil 1
Unser Redakteur war auf der Leipziger Buchmesse und beobachtete Nichtlesende, Mangafans und andere Verkleidete.
Einmal im Jahr verlasse ich Halle um nach Leipzig zu fahren, denn Leipzig ist Gastgeberin der Leipziger Buchmesse, einer Veranstaltung bei der die Leute übers Lesen reden.
Jedes Jahr frage ich M., mit der ich gut befreundet bin, ob sie mit will, aber sie verneint traditionell und sagt dann, dass die Leute lieber zuhause bleiben und sich die Zeit für ein Buch nehmen sollten, denn Bücherlesen sei das letzte, was Buchmessenbesucher*innen an diesem Wochenende täten. Die Buchmesse sei stattdessen bevölkert von zwangsbesuchsverpflichteten Schulklassen, schlecht bezahlten Verlagsvolontären und dem unglücklich dreinschauenden Personal der Verpflegungsstände. Der Betreuungsschlüssel von Fachpersonal zu Besucher*in liegt bei etwa drei zu eins. Ob nun eine Traube Angestellter eines Verlages für Self-Publishing einen potentiellen Self-Publisher umgarnt oder ob einem am Stand der Süddeutschen Zeitung unterschiedliche mindestlohnbezahlte Aushilfskräfte unterschiedliche Probeabos gleichzeitig aufschwatzen wollen – hier haben an diesem Wochenende alle eins gemeinsam: Sie lesen keine Bücher.
Hinzu kommen scharenweise Cosplayer, die sich als Mangafiguren verkleidet haben. Eindeutig kann ich meist gar nicht benennen, was für ein Wesen dargestellt wird, meist handelt es sich eher um eine Kombination verschiedener Elemente. Neonfarbene Haare, Schwerter und Öhrchen gehen zum Beispiel immer, Umhänge sind auch beliebt. Manche Cosplayer haben sich aber auch schlichtweg als Pirat verkleidet oder tragen Dirndl.
Ein weiteres Segment unter den Buchmessenteilnehmer*innen, obwohl schon viele Jahre dabei, bekommt dieses Mal besondere Aufmerksamkeit: Nazis. Denn Nazis haben sich in diesem Jahr als brave Bürger verkleidet und schicken sich an die Meinungsfreiheit (sprich: Das Recht, andere Menschen als minderwertig zu bezeichnen.) zu verteidigen. Im Vorfeld wurde das zum nervigen Hauptthema: Wie soll mit rechten Verlagen auf der Leipziger Buchmesse umgegangen werden?
Manche Debattenteilnehmer*innen verkleideten sich im Vorfeld als bürgerlicher Rechtsstaat und sagten, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit vom Grundrecht der Menschenwürde begrenzt wird, während die kommunistische Leipziger Gruppe „The future is unwritten“ sich als Schmittianer*innen verkleidete, den ganzen Rechtsstaat links liegen ließ und stattdessen die rechten Verlage zum Feind erklärte, den es zu bekämpfen gelte. Andere verkleideten sich als Hauptgeschäftsführer vom Börsenverein des deutschen Buchhandels und forderten „eine Debattenkultur, in der nicht ignoriert und ausgegrenzt, sondern kontrovers gestritten wird, die am Ende aber auf Verständigung angelegt ist.“
Nach der Frankfurter Buchmesse, bei der sich die Nazis als unterdrückte und verfolgte Minderheit darstellten und damit dem bürgerlichen Feuilleton Krokodilstränen des Mitleids in die Augen trieben, war klar, dass die Demokratie in Deutschland nur solange wehrhaft ist, bis Götz Kubitschek einem Buchmessenchef sein Megaphon wegnimmt. Kubitschek, rechter Ziegenbesitzer aus Schnellroda und nebenbei Leiter eines Verlags, verkleidete sich vor ein paar Jahren als Radikalinski und forderte „nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform“. Heute tritt er als Experte für Dialogbereitschaft und Toleranz auf. Wer das widersprüchlich findet, hat noch nicht verstanden, dass es der Neuen Rechten nicht ums Argument, sondern um Deutungsmacht geht. Und mächtiger wird man, indem man den Gegner da angreift wo er am verwundbarsten ist.
Highlights der Dialogbereitschaft gab es bereits am Donnerstag: Kubitschek im Gewand des Märchenonkels, diskutierte mit zwei Schülern, die mit seinen Positionen nicht einverstanden waren, geriet dabei sichtlich unter Druck, was für immer per Foto in die Weiten des Internets gestreut wurde, und brach das Gespräch schließlich ab. Dagegen beschwerte sich der Facebook-Account vom Compact-Magazin über ausbleibende Proteste bei der Lesung zu irgendeinem Roman, der Muslimfeindschaft predigt. Twitter-Accounts berichteten einen Tag später, dass nicht ins Schema passende Personen von Mitarbeitern des Antaios-Standes abgefilmt wurden.
Kubitschek im Dialog mit kritischen Schülern (Fotos © arex-halle).
Insgesamt ging es an den ersten beiden Tagen auf der Buchmesse entspannt zu, aber eine gewisse Nervosität scheint sich bei den rechten Verlagen breit zu machen. Davon zeugen nicht zuletzt die als Security verkleideten Gorillas.