Blau und Rot ergibt Lila

Ein Monat mit dem VfL Halle 96

von | veröffentlicht am 26.04 2019

Beitragsbild: Henrik Merker

Die kleine Fanszene des VfL Halle 96 erlebte im April einige Höhen und Tiefen. Das absolute Saisonhighlight steht aber für diesen Samstag bevor. Im Stadion am Zoo wird mitten im Abstiegskampf der Caravan of Love von Tennis Borussia Berlin erwartet.




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Jedes Spiel als Saisonhighlight zu verkaufen ist keine besonders einfallsreiche Werbestrategie, wobei man dazu erwähnen muss, dass beim VfL Halle 96 noch jede Werbestrategie fehlgeschlagen ist. „Der VfL Halle bedankt sich bei 72 zahlenden Zuschauern“ – so oder ähnlich lauten die Durchsagen des Stadionsprechers. Die jedes Spiel aufkeimende Hoffnung, dieses Mal 96 zahlende Zuschauer*innen im knapp 5.000 Zuschauer*innen fassenden Rund des „Stadion am Zoo“ begrüßen zu dürfen, um damit an das Gründungsjahr des Clubs 1896 erinnern zu können, erlischt schnell beim Blick auf die leeren Ränge.

Blau-Roter April

Aber! Der April hat es wirklich in sich und ist so blau-rot wie selten! Die kleine Fanszene rund um den VfL, die vor allem Wert darauf legt, eben keine echte Fanszene zu sein (zumindest nicht wenn es nach den gängigen Ultra-Kategorien Ehre, Tradition, Gewalt, Disziplin und Kadavergehorsam geht) hat sich zwar nie so sehr für das Sportliche interessiert, es sei aber dennoch erwähnt, dass die Mannschaft von Rene Behring jeden Punkt im Kampf um den Klassenerhalt bitter nötig hat. Aber, wie meistens beim Fußball, verlieren die Guten. So auch beim VfL. Schön wäre es trotzdem, die Klasse zu halten, auch wenn beim typischen Stadionbesuch für die Fans eher Spaß, Schnaps und Schaberschnak im Vordergrund stehen. Und davon gab und gibt es im April reichlich.

Nie wieder Leutzschland oder auch lieber Leutzschland als Deutschland

Am Mittwoch, den 09. April, begleiteten gut 50 Fans aus Halle den VfL nach Leutzsch zum Auswärtsspiel bei der großartigen BSG Chemie Leipzig. Zusammen mit weiteren Sympathisant*innen vor Ort glänzten sie durch einen 90-minütigen Suff-Spaß-Sinnlos-Support, bei dem wirklich kein Hit fehlte und an den alle Beteiligten mit der so typischen Mischung aus Scham und Freude zurückdenken dürften. Der auf der Rückfahrt verwüstete Bus, die Belästigung von Anwohner*innen durch Gegröhle und das in erschreckenden Mengen verköstigte und verschüttete Bier rufen die Frage auf, warum das bei Linken in der Regel recht gut ausgebildete Distinktionsbedürfnis nicht größer ist als der Spaß an der – ja schon klar „nur ironisch“ gemeinten, aber für Außenstehende nicht minder schlimmen – Barbarei. Ein Widerspruch, mit dem (linke) Fußballfans wohl leben müssen und vielleicht ist die Benennung dieses Widerspruchs auch ehrlicher als das weit verbreitete Bedürfnis vieler Ultragruppen, der Ultrakultur irgendwas Emanzipatorisches andichten zu wollen. Nun gut, das Spiel ging vor 3500 (!) Zuschauern vollkommen zu Recht verloren und endete mit den üblichen Sätzen beim Abklatschen mit den Spielern: „Das nächste Mal wird’s besser Jungs“. Direkter Abstiegsplatz, langsam wird die Luft für den VfL wirklich dünn.

und irgendwann, irgendwann einmal… © Henrik Merker

Derbysieger, Derbysieger – Hey! Hey!

Samstag, 12. April: Acht Grad, nasskaltes Wetter. Die SG Union Sandersdorf ist zu Gast. Beim VfL geht das offensichtlich als „Derby“ durch, wie einige an diesem Tag lernen. Zwei Spiele in vier Tagen. Das ist nicht nur für die Spieler hart, sondern im Falle des VfL Halle 96 auch für dessen Fans. Zudem könnte der Kontrast zwischen den beiden Spielen kaum größer sein. „Der VfL Halle bedankt sich bei 76 zahlenden Zuschauern“, schallt es aus den knarzenden Stadionboxen. Wow. Wieder nichts. Ein Wunder eigentlich, dass es nicht schneit oder zumindest nieselregnet. Oder graupelschauert! Das wäre passend. Der erste Blick auf die Uhr nach 10 Minuten absolvierter Spielzeit. Puh, das wird wieder zäh heute. Die bei VfL-Spielen häufig diskutierte Frage, ob die Zeit langsam oder schnell vergeht, ist heute eindeutig zu beantworten: Langsam. In der Kurve (auch wenn sie gerade ist) haben sich die üblichen 15 Verdächtigen versammelt und beobachten einen eindeutig feldüberlegenen VfL, der einfach kein Tor schießen will. Zweite Halbzeit. Dass man fürs Bierholen immer durchs halbe Stadion schlurfen muss ist einfach keine nachhaltige Lösung. Die Fans stimmen zaghaft erste Liederchen an, die spätestens nach dem zehnten Mal garantiert nicht mehr lustig sind, aber – naja – irgendwie dann ja auch doch. Aus dem Nichts das 1:0 in der 71. Minute, kurz darauf der Ausgleich. Dann das unübertrieben Unfassbare: In der 88. Spielminute fällt der Siegtreffer für den VfL, grenzenloser Jubel in der Kurve, zittern bis zum Abpfiff, Hexenkessel Stadion am Zoo! Die Feststellung, dass man sich lange nicht mehr so gefreut hat, spricht nicht unbedingt für das sonstige Leben, beantwortet aber zumindest die allzu häufig unbeantwortete Frage: „Warum? Warum stehe ich hier, warum mache ich das, wieso bin ich nicht am See!?!“ Sinndefizit olè!

…spielt der VfL auch international!

Sechsundneunzig und Tebe

Jetzt aber kommen wir zum eigentlichen, wirklichen, absoluten und unumstößlichen SAISIONHIGHLIGHT 2019. Das Sportliche ist schnell erzählt: Der Tabellennachbar und damit ebenfalls abstiegsbedrohte VfL 05 Hohenstein-Ernstthal – wer kennt sie nicht – ist zu Gast. Es handelt sich also um ein sogenanntes „6-Punkte-Spiel“. Der Sieger des Spiels wird einen gewaltigen Schritt für den Klassenerhalt gemacht haben. Darüber hinaus erwarten die Fans vom VfL Unterstützung von ca. 50 überaus sympathischen Tebe-Anhänger*innen aus Berlin. Die lila-weiße Fans haben sich nach einer heftigen Auseinandersetzung mit dem autoritären und fanfeindlichen Vorstandsvorsitzenden des Vereins aus ihrem geliebten Mommsenstation zurückgezogen und besuchen seitdem unter dem Motto „Caravan of Love“ befreundete Vereine bzw. Fanszenen. Die Fans beider Vereine stehen für einen Fußball ohne Gewalt und das Mindestmaß an zivilisatorischen Standards – sie haben also keine Lust auf Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus oder sonstige Widerlichkeiten.

Es wird groß, es wird toll, es wird herzig und ziemlicher sicher ein feuchtfröhliches Fest in bester Atmosphäre! Die Fans vom VfL sind auf jeden Fall schon mal heiß wie Frittenfett! Also Hohenstein-Ernsttahl – zieht euch warm an – wir machen Euch rund wien Buslenker!

In diesem Sinne, ein bisschen Pathos darfs dann doch sein:

Alerta, alerta – VfL Halle!

Ganz Halle liebt den VfL!

VfL wird Kiezverein!

Friendship never ends!

Und irgendwann, irgendwann einmal…

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.