Bildungsprotest? Ohne meine Uni!

Halle stehen erneut Proteste an der Universität bevor

von | veröffentlicht am 21.11 2017

Beitragsbild: per.spectre

Am Donnerstag soll es erstmals seit 2015 wieder einen Bildungsprotest auf den halleschen Straßen geben. Das versucht der Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät I (FSR) zu organisieren. Ab 16 Uhr wird ein Protestzug von Student*innen vom Steintor-Campus zum Universitätsplatz ziehen und dabei gegen verschiedene Missstände an der Uni Halle und im gesamten Bildungssystem mobil machen.




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Hauptthema der anstehenden Bildungsproteste soll der immer wieder umstrittene Numerus Clausus (NC) sein, der gerade auch vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird. Denn die NCs nehmen Überhand: Waren sie z.B. in der Medizin als Notlösung zur Regulierung von Studieninteressierten gedacht, geht jetzt kaum noch etwas ohne eine gute Abiturnote. Hier hat die Kritik zwei Ebenen: Zum einen erfüllt der NC sein eigenes Versprechen nicht, denn es wird nicht der*die „Beste“ für das Fach ausgesucht, sondern nur die Person, die im Konkurrenzsystem Schule am besten abgeschnitten hat. Zum anderen ist er autoritär, denn die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Berufswahl wird damit zur Makulatur.

Autoritäre Zurichtung

Dagegen setzt der FSR eine solidarische Vision von Bildung. Entscheiden soll nicht der spitze Ellenbogen, sondern der Wille des*der einzelnen Student*in, der im Moment immer wieder übergangen wird. Dafür muss man aber nicht nur auf die Ebene von bundesweiten Bestimmungen gehen, sondern kann auch die Praxis in den einzelnen Fakultäten heranziehen. So beschränkt die Anwesenheitspflicht unter anderem die Freiheit der Student*innen, sich dort aufzuhalten, wo sie es möchten, und auch, ob sie Zeit stattdessen in Seminaren und alternativen Veranstaltungen verbringen wollen, die dafür vielleicht keinen Leistungspunkt bieten. Und die sogenannte “Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung” zwingt sie dazu, die Symptome von Krankheiten gegenüber Prüfungsamt und Prüfungsausschuss offenzulegen.

Diese Praxen sind nicht aus dem luftleeren Raum entstanden, sondern folgen der Logik der Bologna-Reform, die das Studium vollständig durchstrukturiert. Die nun festgesetzten drei Jahre, die der Bachelor brauchen darf, sind nach dem Willen der Reformer*innen modularisiert und mit klaren “Lernzielen” versehen, die immer überwacht werden müssen. Diese autoritäre Zurichtung ist dabei auch Entscheidung der einzelnen Dozent*innen.

In der Vergangenheit waren Bildungsproteste in Sachsen-Anhalt, in deren Tradition sich der anstehende sieht, vor allem Proteste, die sich gegen neoliberale Austeritätspolitik der Landesregierung von CDU und SPD richteten. Mit erfundenen Zahlen und der berüchtigten „Schwarzen Null“ im Visier überboten sich gerade konservative Haushaltspolitiker*innen in ihren Kürzungsfantasien, was bis zur Schließung von Instituten und ganzen Fakultäten und zur diskutierten Einsetzung von „Sparkommissar*innen“ reichte.

Gegen diese Vorstellung von Regierungsseite gingen tausende Studierende legitimerweise auf die Straße und kämpften gegen Kürzungen, für Ausfinanzierung und für die „Autonomie“ der Hochschule. Sie standen zusammen mit Professor*innen und Bürger*innen zum Beispiel unter dem Motto „Halle bleibt!“ für eine zukunftsfähige Universitätsmedizin oder auch eine lebenswerte Stadt ein. Gerne zitiert wurde auch eine Studie des Hochschulforschungsinstitut (HOF), welches den Studierenden bescheinigte, ein Nettogewinn für Sachsen-Anhalt zu sein.

Uni selbst als Ziel der Proteste

Diese Proteste waren vor allem zur Abwehr der Sparvorgaben sinnvoll und auch teilweise erfolgreich, was sicherlich auch an der strategischen Prioritätensetzung lag. Im Endeffekt wurde damit aber die Universität selbst als Objekt der Kritik verschont, da die einfache Forderung oftmals war: Mehr Geld/mehr Uni ist gut – und dies bezog sich vor allem auf eine finanzielle und politische Autonomie. Tatsächlich entscheidet eine Universität aber nicht weniger ideologisch als eine Landesregierung: Während sich Sachsen-Anhalt Gedanken darüber macht, wie die Landeskasse geschützt werden könnte, denkt sich das Management-Rektorat aus, wie andere Universitäten im Konkurrenzkampf zu überholen wären und wie man die Studierenden in die richtige Form bringt.

Beteiligt sind an solchen Fragen nicht die Betroffenen, also die Studierenden, sondern die Professor*innen, deren Autonomie übrigens immer allein gemeint ist. Sie nehmen für sich in Anspruch, die Studierenden zur Anwesenheit in ihren Seminaren zu zwingen, die Symptome bei Krankheiten zu bewerten oder ihre Hilfskräfte einzustellen und zu entlassen, wie es gerade passt. Das tun sie zum einen, weil die Uni-Leitung ihnen diese Vorgaben macht, aber zum anderen deshalb, weil die Universität als zutiefst autoritärer Raum solche Vorstellungen zulässt, die Professoren zu Königen machen. Neben dem professoralen Status, der sich als Ergebnis intellektueller Auslese und weniger als Zufallsprodukt akademischer Klüngelei imaginiert, tut die Lehrstuhlstruktur ihr Übriges: Einer Person „gehört“ ein Fachbereich, den sie dann auch managen muss – das Ergebnis ist ein besonders elitärer Boss.

Ziel eines neuen Bildungsprotestes muss es also sein, sich nicht mit dem eigenen Seminar, dem eigenen Fachbereich oder der eigenen Uni gemein zu machen. Die Uni ist genauso eine Institution des kapitalistischen Systems, wie es ein Bundesland ist. Das macht die Ausfinanzierung trotzdem zum Ziel, aber eben auch den Kampf innerhalb der Hörsäle nötig. Als Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät I streiten wir uns deshalb sehr gerne mit anderen Statusgruppen und bieten am 23. November einen Versuch für einen Protest mit neuem Schwerpunkt. Hier werden wir die Uni angreifen, die den Studierenden keinerlei Freiheiten lässt und ihr Leben reglementiert: Konkret benennen wir die Pflicht zur Anwesenheit in Lehrveranstaltungen, die gerade im Fachbereich Geschichte grassiert, die Offenlegung von Symptomen im Krankheitsfall und den Numerus Clausus als das, was sie sind: Unterdrückung.

Bildungsprotest 2017

„Für die Freiheit, gegen NCs und andere Ungerechtigkeiten“ protestieren am 23. November 2017 ab 16 Uhr Studierende der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der Protestzug beginnt auf dem Steintor-Campus und zieht weiter zum Universitätsplatz.

Organisiert wird der Protest von den Fachschaftsräten der Philosophischen Fakultät I sowie des Studienkollegs. Als Unterstützer*innen treten unter anderem der Studierendenrat der Uni Halle, der SDS Halle, der AK Zivilklausel an der Uni Halle, die Juso-Hochschulgruppe Halle, die Offene Linke Liste an der Uni Halle sowie die Linksjugend solid Halle auf.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.