Behördliches Versagen im Oury Jalloh Komplex

20 Jahre ohne Aufklärung - Teil 2

Auch 20 Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh müssen die Täter*innen keine Konsequenzen fürchten. Stattdessen zeigt sich immer wieder, dass sich alle Behörden weigerten, den Fall von rassistischer Polizeigewalt aufzuklären. Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh kämpft seit 20 Jahren für die Aufklärung des Tathergangs, für Gerechtigkeit und Entschädigung.

Dieser Beitrag war Teil einer Sondersendung zum 20. Todestag von Oury Jalloh bei Radio Corax und wurde für die Verschriftlichung redaktionell bearbeitet (Hier lässt sich der originale Beitrag nachhören). 

Mit der Kampagne „Break the Silence“ informiert die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh die Öffentlichkeit über den politischen und juristischen Prozess, organisiert Anwält*innen und steht mit der Familie von Oury Jalloh im Kontakt. Eine Aktivistin der Initiative erklärt, wie über die Zeit der tatsächliche Tathergang im Todesfall von Oury Jalloh systematisch vertuscht wurde.

„Das fing an am 7. Januar, als das LKA von Magdeburg nach Dessau geschickt wurde zur Tatortarbeit oder Tatortsicherung. Im Prinzip wurde da der Tatort gesäubert, also nach Maßstäben gearbeitet, die so eigentlich nicht üblich sind. Was da passiert ist, am 7.1. lässt eigentlich nur die Schlussfolgerung zu, dass es in dem Moment quasi schon Anweisungen gab, dass nicht rauskommen darf, was da eigentlich passiert ist.

Und man wusste ja von Anfang an, dass es schon zwei Tote in diesem Revier gab, 1997 und 2002. Also dass da ein weiteres Verbrechen passiert ist, war ja den beteiligten Ermittlungsbehörden und denjenigen, die das da entschieden haben, was da passieren soll, das war ja schon klar. Dieses Polizeirevier ist ja nicht irgendwie ein unbeschriebenes Blatt gewesen.

Wir sind der Meinung, dass der Mord an Oury auch nur möglich war, weil eben diese anderen beiden Morde und vor allem der erste uns bekannte Mord 1997 an Jürgen Rose gedeckt worden war. Und das hat eine Systematik die wir eigentlich über die Jahre ziemlich gut herausgearbeitet haben und an den verschiedenen Punkten mit verschiedenen Gutachten auch belegen konnten. 

Zum Beispiel konnten wir diese Hypothese der Selbstentzündung sehr gut widerlegen und dann auch belegen konnten, dass diese Ermittlungsarbeit systematisch fehlerhaft geführt wurde“, so die Initiative.
Bei den beiden vorangegangenen im Dessauer Polizeirevier aufgefundenen Toten in den Jahren 1997 und 2002 handelt es sich um Hans-Jürgen Rose und Mario Bichtemann.

„Da ist, glaube ich das Allerwichtigste, was im letzten Jahr erreicht wurde, dass wir Beweise bringen konnten, dass Hans-Jürgen Rose von mindestens vier Polizeibeamten im Polizeirevier Dessau schwer misshandelt und dann auf die Straße gelegt wurde und an seinen Verletzungen gestorben ist.“

„Mit der Familie Rose wurde Anzeige erstattet gegen vier Polizeibeamte. Und diese Anzeige wurde beim Generalbundesanwalt (GBA) gestellt, weil sie in den Oury-Jalloh-Komplex fällt. Und der GBA hat quasi seine Zuständigkeit abgegeben und weitergeleitet an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Die hat das abgegeben an Halle. So wird gerade der Fall von Hans-Jürgen Rose 1997, der im Polizeirevier Dessau mit großer Wahrscheinlichkeit tot gefoltert wurde, in der Staatsanwaltschaft Halle bearbeitet“, erklärt die Aktivistin weiter.

Diese neuen Beweise vom März letzten Jahres stützt sich auf die Arbeit eines kollektiven Recherchezentrums und geben Hoffnung auf eine Aufarbeitung der Todesfälle.
„Das Problem ist natürlich, dass es eine gewisse Tendenz gibt, die halt durch die Person von Frau Heike Geier zustande kommt.
Nämlich, dass sie für Einstellungen innerhalb dieses Komplexes verantwortlich war und der Herr Jörg Blank auch“, so ein Mitarbeiter des kollektiven Recherchezentrums.
„Insofern sind wir nicht allzu optimistisch dass sie jetzt ihre Meinung ändern. Allerdings denken wir auch, dass wir jetzt eine andere Beweisdichte geschaffen haben und dass wir es durch den Nachweis der Manipulation der Ermittlungsakte im Fall von Jürgen Rose geschafft haben, einen gewissen Druck aufzubauen.

Ansonsten kann man nur viel spekulieren. Aber ich denke mal, wenn die sich dieses Gutachten angucken, dass dann ganz klar wird, was passiert ist.
Wenn dort kein Verbrechen stattgefunden hat und wenn die Geschichte der Polizei, sie hätten Jürgen Rose nachts entlassen, er hätte das Polizeirevier daraufhin nicht mehr betreten, stimmen würde, dann hätte es gar kein Motiv gegeben zur Veränderung der Chronologie seiner Ein- und Ausgänge in das Polizeirevier, die jedoch manipuliert wurde“, heißt es vom Recherchezentrum weiter.

„Ich kann mir vorstellen, dass das für die im Moment ein ganz schöner Brocken ist, wie man sich da jetzt rausreden kann.“

Neue Beweislast im Fall Rose könnte sich auch auf die juristische Aufarbeitung des Falles Oury Jalloh auswirken.
Das Recherchezentrum erklärt dazu: „Wenn die sich dann richtig mit dem Material beschäftigen würden, würden sie natürlich diverse Parallelen in den Verdächtigen sehen.
Sie würden eine ganze Menge Parallelen finden von den Örtlichkeiten, von Instrumenten, von Verletzungsmustern. Und wir hoffen natürlich, dass die das dann gebührend als Komplex und Täterparallelen und so weiter erkennen. Aber das können wir halt nicht garantieren, wie die da entscheiden.
Aber ja, das wäre natürlich das Ziel. Und das ist auch ein bisschen die Idee, dass jetzt mit dem absehbaren, juristischen Ende des Oury-Jalloh-Falls an sich die Würdigung dessen als Komplex, also mit den anderen Beiden zusammen, dass das als solches gesehen wird und auch als solches behandelt wird.“

Die Würdigung des Falles Oury Jalloh als Teil eines Mordkomplexes wäre auch ein Signal, das die Taten als systematisches Handeln mit menschenfeindlicher Motivation einordnet. Denn der Tod von Oury Jalloh steht exemplarisch für rassistische Polizeigewalt in Deutschland. Ein Projekt, das sich gegen Polizeigewalt in Deutschland einsetzt, ist „Racism on Trial“, der in Berlin ansässigen Gruppe „Justice Collective“.

Durch Monitoring, solidarische Prozessbeobachtung, Öffentlichkeitsarbeit, Organisierung und politische Bildung soll so dem rassistischen System etwas entgegengesetzt werden. Für Anthony von „Racism on Trial“ ist die mangelhafte juristische Aufarbeitung des Todes von Oury Jalloh nicht überraschend.
Anthony von „Racism on Trial“ erklärt: „Wir beobachten immer wieder, dass Polizeibeamt*innen vor Gericht sehr großes Vertrauen geschenkt wird und ihre Aussagen nicht hinterfragt werden, während beschuldigten Personen selten geglaubt wird oder auf jeden Fall nicht so ein Vertrauen entgegengebracht wird, wie den Polizist*innen.
Es kommt dann oft dazu, dass Aussage gegen Aussage steht und sich dann eben genau diese Prozesse der rassistischen Polizeipraxis, die sich dann außerhalb des Gerichtssaals ereignen, nicht kritisch von der Justiz hinterfragt bzw. sogar weiter vorangetrieben werden. Dieser Schulterschluss zwischen Justiz und Polizei lässt sich vor Gericht immer wieder beobachten.“
Für Anthony liegt aber gerade aufgrund dieser weit verbreiteten Polizeigewalt auch ein empowerndes Moment im Fall Oury Jalloh:
„So grauenvoll der Fall Oury Jalloh und die Geschichte des Mannes dahinter ist, liegt darin auch etwas, woraus Antirassist*innen Kraft und Hoffnung schöpfen können. 

Denn dieser Fall zeigt auch, dass selbstorganisierte Forschung und aktivistische Mobilisierung eben mächtige Gegennarrative erzeugen können, die Lügen entlarven und die Wahrheit ans Licht bringen und dadurch kollektives widerständisches Wissen erzeugen. 

Dieses Wissen, das gerade auch durch die Initiative Oury Jalloh produziert wird, weiter nach vorne getragen wird, dieses Wissen lehrt uns, dass Oury Jalloh kein Einzelfall ist, dass auf Polizei und Justiz kein Verlass ist, dass von der Polizei große Gefahr ausgeht und dass die Justiz keinen adäquaten Schutz vor ihr bietet.“


Foto: Dani Luiz

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