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Bauen ist schlecht

Es braucht eine Politik gegen Investor*innen

Auf Halle kommen viele Bauvorhaben zu, die versprechen, städtebauliche Missstände zu beheben. Vor allem aber verteuern sie das Wohnen. Besonders betroffen ist die südliche Innenstadt, auf der der größte Verdrängungsdruck lastet.

Halles südliche Innenstadt ist nicht urban genug. Das ist zumindest die Auffassung des „Planwerks“, welches sich um eine Verdichtung der Bevölkerung und des Betons pro Quadratmeter bemüht. Ein Beispiel ist dafür der „Bebauungsplan Nr. 198“, der sich auf die Liebenauer Straße bezieht. Das lief bis jetzt relativ geräuschlos ab, wobei Anwohner*innen die enorme Dimension des Vorhabens beklagen. Denn die ist in der Tat nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Geplant sind unter anderem 15-stöckige Hochhäuser mit einer Tiefgarage, die über 550 Plätze verfügen soll, um den angenommenen Bedarf „hochwertigen Wohnraums“ zu entsprechen. Das traf bis jetzt in den städtischen Gremien auf breite Zustimmung.

Begründet wurde diese positive Haltung mit der „Beseitigung eines städtebaulichen Missstandes“, also einer Brachfläche. Aber helfen Neubaugebiete dabei, die Stadtentwicklung positiv zu beeinflussen? Das darf angesichts der zuletzt errichteten Wohngebiete stark bezweifelt werden. Beginnen könnte man mit dem Projekt auf dem Areal der früheren „Gravo-Druck“. Wo früher produziert wurde, kann nun gewohnt werden. Für viele im Produktionsbereich ist dieses Wohnen nur leider nicht erschwinglich. Denn die „höchste Wohnqualität“ mit Tiefgarage, Ladesäulen, großen Fenstern und inmitten eines „historischen Areals“ gibt es nicht umsonst, sondern erst ab 13,50 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete. Die Preise kennt die südliche Innenstadt allerdings auch, zum Beispiel in der Jacobstraße 14, wo laut Angaben von Immobilienscout24 Wohnungen ab 13,20 Euro für den Quadratmeter zu bekommen sein sollen. Wie teuer das ebenfalls in der südlichen Innenstadt und in der Nähe des Zukunftszentrums am Riebeckplatz geplante Areal der „Riebecks Gärten“ werden wird, kann man nur vermuten – günstig sind die Planungen allerdings kaum.

Während das „Gravo-Druck“-Areal die ohnehin nicht preisgünstige Innenstadt verteuert, versucht sich das Projekt Wohncampus an der nördlichen Neustadt, wo Kaltmieten zwischen 10 und 13 Euro genommen werden sollen und man neue Blöcke dort hingestellt hat, wo zuvor Platten abgerissen werden mussten. 2024 haben die ortsüblichen Vergleichsmieten in der Region entsprechend um 60 Prozent zugelegt, was sich natürlich auf den Mietspiegel auswirkt. Dafür gibt es auch hier wieder Tiefgaragen und Panorama-Fenster sowie Smart-Home-Spielereien und große Außenterrassen. Der Vermieter bewirbt „traumhaftes, modernes und exklusives Wohnen im Wohncampus“.

Etwas bescheidener, aber dennoch als Treiber für die Gentrifizierung wirkend, ist da das Wohnprojekt „Alte Malzfabrik“ in der Nähe des Lutherplatzes. Hier soll man lediglich ein paar Euro über den durchschnittlichen Mietpreisen liegen, was aber immer noch nicht wenig ist und gerade in der Region den Druck erhöht. Für über neun Euro pro Quadratmeter kann man dort nach eigenen Angaben in „umfassend modernisierten“ Wohnungen und in einem „repräsentativen Gebäude“ leben, welches 1882 errichtet wurde. Der „Hotspot des urbanen Lebens“ soll aus einer Fabrikruine eine lohnenswerte Investition machen – Mietstabilität ist also nicht wirklich zu erwarten, wenn der Plan aufgeht.

Halles Projektentwickler*innen und ihre zahlreichen Kolleg*innen haben aber neben städtischen Brachflächen noch weitere lukrative Orte entdeckt, auf denen ganz neu gebaut werden kann. So ist die Saale natürlich enorm im Trend. Gerade an heißen Sommertagen möchte man die kühlende Wirkung des Flusses genießen und den Lärm und die Hitze der Stadt vergessen. Lange diskutiert wurde über das Projekt der Saalegärten. Und das zurecht: Laut MZ liegt möglicherweise gar ein „Fluch“ auf dem Projekt. Denn eigentlich sollte auf dem Areal das „Sportparadies“ entstehen, mit Hallen für Teamsport genauso wie verschiedene andere Sportgelegenheiten. Wie so oft, wenn man sowas in privater Hand belässt, ging der Investor allerdings pleite und ersatzweise wurde das gemacht, was am leichtesten Profit abwirft: Die Umwandlung in ein reines Wohngebiet. Aber auch ein Jahr nach dem Beschluss, vor dem der Investor sich heldenhaft gegen Beschränkungen aller Art wehrte, scheint noch kein Fertigstellungsdatum erahnbar zu sein. So oder so hat das Areal seinen Wert für den Investor, der früher mal CDU-Stadtrat war, in der Möglichkeit, hier Luxuswohnungen mit direktem Saaleblick zu errichten. Wer günstigen Wohnraum sucht, hat also nicht unter der vorherigen Brachfläche gelitten, denn er bekommt jetzt ebensowenig. Aber auch Menschen, die nach teuren Wohnungen suchen, haben bis jetzt nichts davon. Denn produktiv genutzt wird die Brachfläche definitiv nicht. Das gibt es nicht nur bei Wohnprojekten, sondern ebenfalls im Kontext teuren Büroraums, wie das „Nordkap-Projekt“ zeigt, welches nördlich des Paulusviertels entstehen soll – allerdings werden schon vor Baubeginn seit Jahren Mieter*innen gesucht, die sich zum Einzug verpflichten wollen.

Städtische Wohnungsgesellschaften mischen mit

Einigen Trends wollen sich die städtischen Wohnungsgesellschaften, die gerade nicht für den Profit wirtschaften sollten, leider nicht entziehen. So errichtete die GWG, die vor allem in Neustadt Plattenbauten vermietet, ebenfalls (und für einen Neustadt-Bezug deutlich auf der falschen Saaleseite) teuren Wohnraum am Fluss. Das Projekt heißt „Am Mühlwerder“, wirbt mit der Nachfolge der „alten Fischerdörfer Böllberg und Wörmlitz“ in „naturnaher Umgebung“ und damit natürlich mit der Saale und sieht die südliche Innenstadt als „Boomtown“. Mit 14 Euro Kaltmiete, die man dafür zahlen muss, Teil des Booms zu sein, mag sich das sogar so anfühlen. Damit wird deutlich, dass ein Boom nicht unbedingt etwas Positives sein muss, denn mit den 14-Euro-Wohnungen kommt die GWG in eine Gegend, die derzeit sowieso am stärksten vom Verdrängungsdruck betroffen ist. Die HWG, die zweite städtische Wohnungsgesellschaft, war dagegen Trendsetterin: Schon 2017 setzte sie gemeinsam mit der „GP Günter Papenburg AG“, die bei so gut wie jedem Bauprojekt in der Saalestadt den Ton angibt, den „Wohnpark“ im Paulusviertel durch. Ein ehemaliges Behördengebäude wurde zu einem Mietobjekt, für welches schon damals 13 Euro pro Quadratmeter verlangt wurden. Um das Portfolio aufzupolieren und durch den Verkauf die eigene Bilanzsumme zu verbessern, setzte man das Projekt allerdings durch – gegen den Widerstand der meisten Anwohner*innen. Nicht ganz so dramatisch ist die Situation in der Dorotheenstraße 11 am Riebeckplatz, denn zumindest kann die HWG auf altersgerechtes Wohnen verweisen. Das sie damit zwar einerseits die Anbindung an die Altstadt und das Charlottenviertel bewirbt, gleichzeitig aber auch zur Verdrängung in der Leipziger Straße beiträgt, wird in der Werbung verschwiegen – und das ist bei den verlangten Preisen eigentlich keine Frage.

Natürlich geht es aber auch immer noch viel dreister. Isihome, ein privater Wohnungskonzern, welcher sich nicht zu schade war, dubiose Wahlkampfspenden an den von Konzernen stets begeisterten Mieterrats-Chef zu tätigen, baut derzeit „All-Inclusive-Microapartments“ für „Menschen mit flexiblen Lebensstil“ in der Ludwig-Wucherer-Straße. Was Micoapartments für Studierende und andere Mieter*innen bedeuten, ist dabei bundesweit hinlänglich bekannt: Astronomische Quadratmeterpreise, keine Mietrechte, Vereinsamung und Wucher. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Isihome hier genauso in die Vollen gehen wird und wir Horrorreportagen wie aus Leipzig demnächst in der eigenen Nachbarschaft genießen können.

Wohnraum als Ware

Die erwähnten Bauprojekte, jeweils entweder Neubauten oder grundlegende Umgestaltungen, haben alle nicht dabei geholfen, günstigen Wohnraum zu schaffen bzw. werden es nicht tun. Vielmehr haben sie zu einer Verteuerung und Verdrängung beigetragen. Das Argument der Vermieter*innen und Konzerne, Bauen sei nun einmal so teuer geworden, kann dabei als Erklärung nicht herhalten. Zum einen geht es nicht nur um Bauprojekte aus den letzten Jahren: So war der „Wohnpark“ im Paulusviertel schon vor acht Jahren teurer als so manches Neubauprojekt im Jahr 2025. Und fast alle genannten Projekte setzen trotz Mietkrise weiterhin offen auf hohe Preise: Die meisten preisen den Luxus an, andere bewerben eine besondere Praktikabilität. Niemand dort behauptet, so günstig wie möglich zu bauen, als wäre nicht die Preisfrage beim Wohnraum die zentrale. Zwar kostet es in der Tat heute deutlich mehr, ein Neubauprojekt umzusetzen, aber der Preistreiber ist die Spekulation. Es werden die Preise genommen, die genommen werden können – und wenn das zu wenig sein sollte, dann bleiben Baufläche oder ganze Wohnblöcke für Jahre unbenutzt stehen und dümpeln in der Bilanz herum.

Die hohen Mieten werden also nicht für die Errichtung der Wohnhäuser genommen, sondern stellen noch ein enormes Extra dar, was mit dem Konzept des zu schaffenden Wohnraums und mit den Rahmenbedingungen in Halle zu erklären ist. In Halle trifft das Marktbedürfnis, möglichst teuer zu planen, um die Renditeerwartungen von Beginn an zu erhöhen, auf viele Möglichkeiten. Es gibt eben noch Brachflächen oder unsanierten Altbau, den zum Beispiel überraschte Erb*innen loswerden wollen. Gleichzeitig profitiert man von Verdrängungseffekten aus Leipzig und hat neben dem dortigen Boom noch das Zukunftszentrum als spekulative Wertsteigerung. Darüber hinaus kommen durch die Universität immer wieder neue Menschen in die Stadt, die irgendwo wohnen müssen. Es gibt hier bereits eine Mietpreisspirale, an der man nur weiter drehen muss: Von 2014 bis 2023 sind die Preise um 32 Prozent gestiegen, in den nächsten zehn Jahren kann es deutlich mehr sein. Die Renditeerwartungen sind klar und auch daran abzulesen, dass sich die Preise für Eigentumswohnungen allein im letzten Jahr um 12,4 Prozent erhöht haben, was die Immobilienbranche mit der Aussage feiert, Halle habe sich in „kurzer Zeit  von einem unterschätzten Markt zu einem der spannendsten Wohnstandorte im Osten entwickelt.“

Politik für Baufirmen

Dazu fehlen Halle – wie vielen Städten in Ostdeutschland – in der Mehrheit die politischen Abwehrkräfte. Denn man ist geprägt von der aus den Nuller-Jahren kommenden Analyse, dass die Stadt unbedingt qualitativ hochwertigen Wohnraum bräuchte, der was kosten dürfe. Diese Analyse ist geprägt von den Jahren des Leerstands und von der Zeit des „Abriss Ost“ und trifft in Teilen der Politik auf Widerhall – auch, weil selten die Klagen derjenigen gehört werden, die insbesondere aus der südlichen Innenstadt verdrängt wurden. Während die Verdrängung stets im Privaten passiert, schaffen es die Beschwerden von Besserverdienenden über die Unmöglichkeit, ausreichend komfortablen Wohnraum zu finden, stets in die Lokalmedien. Und dieses Ungleichgewicht zieht sich durch: Wie sich die Ratsmehrheit für einen Golfplatz am Hufeisensee entscheidet, so entscheidet sie sich eben auch für Luxuswohnungen. Das ist aber nur ein Detail der Erklärung. Vor allem geht es darum, die Stadt in Konkurrenz zu anderen Städten fit zu machen. Das läuft nicht über die einzelnen Entscheidungen, sondern ist schon seit Jahrzehnten Stadtpolitik: Gerade mit dem Zukunftszentrum soll auch eine glänzende Innenstadt locken. Brachflächen oder Bruchbuden stören da das Bild, private Investor*innen müssen her, die die Stadt vor die Wahl stellen: Entweder es wird nach ihren Regeln gebaut – oder gar nicht.

Die Mehrheit der Entscheidungsträger*innen hatte in der Vergangenheit Angst vor dem „Gar nicht“ und sorgte sich um den „dringend benötigten Wohnraum“. Dabei ist das ziemlich unbegründet. Es gibt nicht zu wenig Wohnraum in Halle, er ist nur falsch verteilt. Natürlich sind die Mittel begrenzt. Aber angesichts der Klimakatastrophe neue Flächen zu versiegeln oder die Innenstadt durch Nachverdichtung weiter anzuheizen, ist aus vielen Gründen falsch. Und dabei ist noch nicht einmal das berücksichtigt, was wir oben festgestellt haben: Die Neubauprojekte helfen überhaupt nicht dabei, Wohnraum zu schaffen, den sich die Hallenser*innen leisten können. Dass der Stadtrat sich dazu durchgerungen hat, immer wieder Projekte dazu zu verpflichten, einige Prozente (im Idealfall 20 Prozent) des Wohnraums günstiger zu machen (was aber auch auf über acht Euro hinauslaufen kann), ist richtig, aber dagegen nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil das Projekt im Gesamten auf alle umliegenden Mietverhältnisse eine negative Auswirkung hat und die ortsüblichen Mieten deutlich erhöht. Der Einsatz ist ehrbar, aber für Mieter*innen wäre es besser, das Projekt wäre gar nicht zustande gekommen.

Halle kann also nicht auf billiges Bauen hoffen. Vielmehr gilt es, gegenüber den Investor*innen auf ein entsprechendes Mindestmaß zu setzen, was die Verteuerung von Vierteln durch Neubauprojekte verhindert. Das gilt auch und erst Recht für Hotels, mit denen die Innenstadt nach Wünschen von Baufirmen und Spekulant*innen zugepflastert werden soll, man denke hier an das „Premier-Inn-Hotel“ auf dem ehemaligen Kapellenberg. Zwar werden dort keine Hallenser*innen zu überteuerten Preisen einkehren, aber es geht auch um die Steigerung der „Attraktivität“, die zu höheren Renditeerwartungen bei Wohnkonzernen führen muss.

Halle muss kein neues Leipzig werden

Eine echte Einschränkung werden die Investor*innen definitiv nicht akzeptieren. Aber damit muss die Stadt dann leben, will sie nicht ausverkauft werden. Wenn dann auf das Bauen verzichtet wird, ist das in diesem Sinne kein Verlust, sondern durchaus begrüßenswert. Stadtentwicklung muss dann mit den eigenen Gesellschaften und dem bereits vorhandenen Wohnraum gemacht werden. Brachflächen sind nicht unbedingt ein städtebaulicher Missstand, nur weil jemand eine geschlossene Bebauung schöner findet – Neubaugebiete mit Preisen von 14 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete sind allerdings immer ein Missstand. Bei den Gebäuden, die schon stehen, kann man wohl nicht mehr viel machen. 

Aber viele Projekte sind noch in Planung und stehen immerhin noch nicht. Es braucht einen grundsätzlichen Protest gegen die Verteuerung insbesondere in der südlichen Innenstadt, der über die bis jetzt geäußerten Einwände der Anwohner*innen (mehr Verkehr, schlechtere Aussicht usw.) deutlich hinausgeht. Dass bis jetzt vor allem lokale Kritik und nicht mehr zu hören war, liegt daran, dass kaum jemand wirklich in der Lage ist, bei jedem Bauprojekt detailliert nachzuweisen, wo der Schaden entsteht oder was genau an der Planung auszusetzen ist. Aber darum geht es längst nicht mehr. Wir sind nicht mehr in den Nuller-Jahren, sondern in der Zeit, in der aus der südlichen Innenstadt das neue Paulusviertel wird und einige Menschen die Koffer packen müssen, wenn es so weitergeht. Es geht also darum, nicht die Stadtentwicklung neu zu erfinden, sondern die Notbremse zu ziehen. Es geht darum, den Investor*innen zu sagen, dass die Party in Halle vorbei ist und sie sich bis zu ihrer notwendigen Enteignung dort austoben sollen, wo sie das Zusammenleben eh schon zerstört haben. Es geht um die Frage, ob wir uns im Bundesdurchschnitt bezahlbaren Wohnraum ohne Widerstand wegnehmen lassen.

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