Autokorso, Fahrradblockade, Waldbesetzung

Die Altmark und die A14

Zwischen Schwerin und Magdeburg soll bald das letzte „fehlende“ Verbindungsstück der A14 gebaut werden. Vergangenen Samstag veranstalteten Befürworter_innen einen Autokorso. Und auch sonst tat sich so einiges – unter anderem entstand Sachsen-Anhalts erste Waldbesetzung. Ein ereignisreicher Tag in der Altmark.

Auftakt

Es ist 9 Uhr morgens und ich stehe vor dem Bahnhof von Osterburg, etwas nördlich von Stendal. Das recht imposante Gebäude ist lange verlassen und die Fenster sind verrammelt, Fahrkarten kann man sich nur am Automaten bei den Gleisen kaufen. Bevor ich überhaupt richtig angekommen bin, spricht mich schon eine ältere Frau mit Hund an. Sie beklagt sich über die furchtbare Anbindung – am Wochenende fahre nur alle zwei Stunden ein Zug. Darüber, dass sie mit dem Automaten nicht klarkommt und sich einen Schalter mit einem echten Menschen wünscht. Darüber, dass das Gebäude so unansehnlich daliegt und nicht repariert wird.

Es wird an diesem Tag gleich mehrere Protestaktionen zum Thema Mobilität geben. Genauer gesagt, geht es um den „Lückenschluss“ der A14. Die schlängelt sich von der Ostsee bis nach Sachsen, nur zwischen Schwerin und Magdeburg ist sie noch nicht verbunden. Einem Teil der Bewohner_innen der Region ist das seit langem ein Dorn im Auge; sie wünschen sich, dass endlich die Autobahn kommt. Andere wiederum wollen gerade das verhindern. Die Aktivist_innen des Bündnis „keineA14“ wehren sich seit fast 20 Jahren auf verschiedenen Wegen gegen den Bau. Sie sorgen sich um die lokale Umwelt und die Mitschuld des Autoverkehrs an der globalen Erwärmung. Außerdem denken sie, dass der Bedarf auch völlig zureichend durch Aus­bau der vorhandenen Bundes­straßen und bessere Anbindung an den Zugverkehr erreicht werden könnte. Vor Kurzem wurde eine weitere Klage gegen Teile des Aus­bauplans ein­gereicht – zum großen Ärgernis der Autobahn­befür­worter_innen. Letztere haben deswegen für diesen Tag einen Autokorso angekündigt, der mehrere Stunden lang durch die Dörfer ziehen soll, seinerseits wieder zur Empörung einiger Anwohner_innen, die deswegen kurz zuvor einen offenen Brief in der Lokalpresse veröffentlichten.

Hier vor dem Bahnhof bin ich mit einigen „keine14“-Aktivist_innen verabredet. Sie wollen mit ihren Fahrrädern am Korso „teilnehmen“ – dessen Motto sei immerhin „Für eine bessere Anbindung der Altmark“, und das wollten sie ja prinzipiell auch. Ob sie wirklich meinen, dabei mit den Auto­fahrenden ins Gespräch kommen zu können oder sich aufs gezielte Stören ein­stellen, bleibt vorerst offen. Gemeinsam radeln wir ins Dorf Dequede, durch das der Korso fahren soll. Die Bäume ent­lang der Durchfahrtsstraße sind mit großen Plakaten gegen den Bau der A14 versehen. Einige junge Aktivist_innen schreiben mit Kreide Parolen auf die Straße, ein kleiner Karren wurde „zum Straße fegen“ in den Weg gestellt, was vom Dorfordnungsamt schnell unterbunden wird. An den Zäunen sammeln sich bereits erste Anwohner_innen. Dass die Autobahn kommt, damit haben sich die allermeisten schon abgefunden. Doch selbst von denjenigen, die sie grundsätzlich wollen, äußern einige Unverständnis gegenüber des Autokorsos. „Die Autobahn kommt ja, dass ist eine völlig überflüssige Aktion, so viel Lärm und Dreck“, sagt einer von ihnen. Als „reine Provokation“, beschreibt es eine andere.

Entlang der Straßen

Schließlich biegt der Korso ins Dorf ein. Nach den Führungsfahrzeugen folgt eine ewig scheinende Schlange aus LKWs. Mehr als 160 Fahrzeuge insgesamt, wird einer der Organisator_innen mir gegen­über schätzen. Die Stimmung heizt sich merklich auf. Die als Ausbaugegner_innen interpretierten Anwohner_innen werden mit Hupkonzerten belegt; ein LKW lässt seine Hupe gute hundert in Schrittgeschwindigkeit gefahrene Meter lang dröhnen. Dazu kommt der dauerhafte Hinter­grund­lärm der Motoren und die aggressiven Rufe aus den Autofenstern. Ein Anwohner, der dem Spektakel zusammen mit seinem kleinen Kind beiwohnt, sieht das aber entspannt. „Ach, die Kinder freuen sich.“ Und überhaupt sei er ja auch unbedingt dafür, dass die Autobahn endlich kommt. Als Betreiber eines Geschäftes in der Region hoffe er, überflüssige Fahrtzeiten sparen zu können. Das käme schließlich auch den Fahrer_innen zu Gute, denn eine halbe Stunde mehr oder weniger mache den Unterschied zwischen zu Hause ankommen oder an einer Raststätte schlafen aus. Aber ließen sich solche Ein­sparungen nicht auch durch Güterverkehr auf Zügen erreichen? „Die letzten Meter bis zum Kunden fährt der Zug aber nun mal nicht.“, entgegnet er. Gut, die Autobahn zwar auch nicht, will ich einwenden, aber unter dem Dauerhupen des Korsos ist das Fortsetzen des Gespräches schwierig. So fahre ich weiter zum anderen Ende des Dorfes. Dort treffe ich ein älteres Ehepaar, das über das alles nur verständnislos den Kopf schüttelt. „Scheiße und egoistisch“, finden sie es, „hier Autos und LKWs spazieren zu fahren“. Beide sind in der Region aufgewachsen. Sie fürchten um ihre Lebensqualität, den Lärm, den Dreck und die Umweltzerstörung, die der Bau mit sich bringen wird. „An die Kinder denkt auch niemand“, sagt der Mann und schüttelt wieder den Kopf, als sich ein hupender LKW vorbei­schiebt. Die Hoffnung, dass mit der A14 auch Industrie und Arbeitsplätze in die Region kommen, hält er für Unsinn. „Schauen Sie doch nach Brandenburg, die haben Autobahnen“, sagt er nur.

© Luca von Ludwig
„Scheiße und egoistisch, hier Autos und LKWs spazieren zu fahren.“ Bild: Luca von Ludwig

Kurz darauf hält der Korso an, einige Autobahngegner_innen haben wohl die Straße blockiert. Ich will die Zwangspause auf Seite des Korsos nutzen, um mir ihre Positionen an­zuhören. Das gestaltet sich jedoch schwierig. Ich sitze auf einem Fahrrad, trage als einzige Person weit und breit eine Schutzmaske, habe als Mann lange Haare und mache Presse­arbeit, bin also ein ziemliches Feindbild-Bingo. Auf meinem Weg entlang des Korsos schreien mir zwei Glatz­köpfe „scheiß Ökofotze!“ hinterher. Ich halte ca. 100 Meter weiter, um ein wartendes Trio an­zu­sprechen, aber bevor ich richtig ins Gespräch kommen kann, stellen sich die beiden Männer dazu. Ich frage, warum sie so gereizt sind, aber außer der verschieden formulierten Anfeindung „Weil du Fahrrad fährst, du scheiß Ökofotze!“, erhalte ich keine Antwort. Ich frage, ob alle Fahrrad­fahrenden ihrer Meinung nach gegen sie seien, was die beiden ohne Zögern bejahen. Diese mäßig stich­haltige Argument­ation führt dazu, dass das Trio, mit dem ich eigentlich sprechen wollte, sich jetzt doch lieber kumpelhaft den beiden Männern zuwendet. Ich versuche mein Glück also etwas weiter vorne nochmal. Ein LKW-Fahrer erklärt mir, dass sie mit diesem Autokorso zeigen wollten, wie es hier aussehen würde, wenn die Bundesstraße mal gesperrt sei. So wollten sie belegen, dass es die Autobahn unbedingt brauche, um die Dörfer zu entlasten. Ich will ihn fragen, ob es nicht paradox ist, mit einem künstlich geschaffenen Stau auf die Probleme eines Echten hinzuweisen. Aber da setzt sich der Korso auch schon wieder in Bewegung und er verschwindet in das mit Eisernem Kreuz versehene Führerhäuschen seines Fahrzeugs.

Nachdem der Korso den Hauptteil seiner Strecke absolviert hat, treffe ich einen der Organisator_innen auf einem Parkplatz eines kleinen Dorfes. Sein Name ist Walter Fiedler, er ist stellvertretender Bürgermeister des nahe gelegenen Seehausen und schon lange Befürworter der A14. Im Vergleich zu dem Teil seiner Mitstreiter_innen, den ich bisher kennenlernte, tritt er deutlich gelassener auf. Von dem aggressiven Verhalten, das ich ihm schildere, distanziert er sich. Das reicht mir nicht ganz, und ich frage ihn, was er glaubt, warum seine Ver­anstaltung solche Menschen an­ziehe. Aber darauf möchte er nicht weiter eingehen. Mit dem Verlauf des Tages sei er, mit Blick auf die hohe Zahl der Teilnehmenden, sehr zufrieden. Ich frage ihn, wie er zu den Einwänden seiner Gegner_innen, den großen und regionalen Fragen des Klima- und Umweltschutzes, stehe. Fiedler sieht das nicht so kritisch. „Ich gehe davon aus, dass sich der gesamte Kraftfahrzeugverkehr in Zukunft ändern wird“, meint er und verweist auf Elektro- und Wasserstoffantriebe. Und er sei ja auch für den Ausbau des ÖPNV und der Radwege – zusammen mit der Autobahn. Die möglichen Aus­wirkungen auf die direkte regionale Umwelt hält er für vernachlässigbar. Dabei soll für die A14 eine Schneise mitten durch den Seehausener Stadtwald geschlagen werden. Dazu sagt Fiedler: „Jeder Baum, der im Zuge [des Autobahnbaus] gefällt wird, wird durch eine Ausgleichspflanzung ersetzt“. Ob die Ersatzsetzlinge aber jemals die Größe ihrer Vorgänger erreichen werden, darf indes – in An­betracht der immer heftiger ausfallenden Dürresommer, gerade in Sachen-Anhalt – be­zweifelt werden. Ich frage, ob er keine Sorge darum habe, dass ein weiterer Ausbau Vorzüge des Land­lebens, z.B. Ruhe und Nähe zur Natur, noch weiter zunichte machen könnte. Dem entgegnet er, dass der dörfliche Charakter ohnehin schon verloren sei. Vielmehr hofft er darauf, dass eine bessere Anbindung mehr Tagestourist_innen aus den Ballungsgebieten heraus aufs Land locken würde. Über­haupt vertritt er die An­sicht, dass durch die Autobahn eher Abgase eingespart würden, weil der Verkehr ja dann nicht mehr über die langsameren Landstraßen tuckern müsse.

Der Wald von Seehausen

Gerade diesem letzten Punkt widersprechen die Ausbaugegner_innen scharf. Einer von ihnen, Zoltán, meint zu solchen Argumenten: „Angebot schafft Nachfrage, und es geht darum, das richtige Angebot zu schaffen.“ Daher sollte das Geld lieber in Fahrrad- und Schieneninfrastruktur gesteckt werden. Dass die Altmark „die größte, bisher von Autobahnen unzer­schnittene Region Deutsch­lands“ sei, mache einen großen Teil der Lebensqualität vor Ort aus. Mit Blick auf die lokalen Aus­wirkungen der A14 kritisiert er Umstände wie das Fehlen von Lärmschutzmaßnahmen für die mehrere Meter höhergelegte Schnellstraße. Auch die zu erwartende Luft­verschmutzung sei bei­spiels­weise für den nahe­ge­legenen Luftkurort Ahrendsee katastrophal. Zoltán meint, dass der ländliche Raum nachhaltig nur mit einem grund­sätzlichen Strukturwandel der Arbeits- und Mobilitätssphäre weiter­bestehen kann. Arbeits­plätze, für die jeden Tag viele Kilometer in die nächste Großstadt gependelt werden müsse, hätten seiner Ansicht nach keine Zu­kunft. Vielmehr sollten gerade im ländlichen Raum „auf Beschäftigung vor Ort und Möglichkeiten des Home-Offices“ gesetzt werden. Dafür wäre aber ein Ausbau der IT-Struktur notwendig. Außerdem brauche es „ein ganzheitliches Mobilitäts­konzept, dass Schienenverkehr und andere, nachhaltigere Fort­be­wegungsmittel sinnvoll kombiniere“, sagt Zoltán. Das denke dann auch die junge Generation in der Region mit, denn Jugendliche ohne Führerschein und Fahrzeug hätten von mehr Autoinfrastruktur keinen Vor­teil.
Mein Gespräch mit Zoltán findet im Seehausener Stadtwald statt. Ich bin mit ihm und einigen anderen der „keineA14“-Aktivist_innen dorthin gefahren, wo in Zukunft die Schneise der A14 ver­laufen soll. Der Forst ist eine Monokultur aus Kiefern, dazwischen nichts als hohes, weiches Gras. Durch die Kronen flimmert warmes Sonnenlicht und ich denke zurück an die Tage im Wald von Dannenrod, bevor die Harvester, die Wasserwerfer und der Stacheldraht kamen. Auch jetzt sind wieder Baumhäuser über mir. Mittlerweile hat es sich schon herumgesprochen: In der vorherigen Nacht gründete sich hier eine neue Waldbesetzung. Bis jetzt sind es nur einige Plattformen, aber ein paar Meter weiter wird schon an der nächsten Struktur gebaut. Und es werden noch viele weitere folgen, zumindest, wenn es nach den Besetzer_innen geht. In ihren Augen sind alle anderen Wege, gegen das Großprojekt vorzugehen, erschöpft. Jetzt hoffen sie darauf, lokal und darüber hinaus, Menschen für ihre Sache zu begeistern und zu anderen Formen des Widerstandes zu inspirieren. Fürs Erste dürften sie hier jedenfalls in Ruhe weitermachen können, denn ohne Bäume zu fällen, kommt kein Fahrzeug in die Nähe ihrer Besetzung, und die Rodungs­saison geht erst im Oktober wieder los. Man darf gespannt sein, wie sich die Situation weiter entwickelt.

Sachsen-Anhalt hat jetzt auch eine Waldbesetzung. Bild: Luca von Ludwig

Im Anschluss lasse ich mir noch den Bahnhof von Seehausen zeigen. Auch dieses Gebäude ist mittler­weile in privater Hand, doch die Aktivist_innen haben erreicht, es bis auf Weiteres nutzen zu können. In dem mit allerlei Graffiti aus den Jahren des Leerstandes versehenen Gebäude ent­stehen nun Küche, Infowände und Aufenthaltsräume. In Zukunft soll der Ort als Ankunfts- und Informationspunkt rund um den Widerstand gegen die A14 dienen – bis dahin gibt es aber noch viel aufzuräumen, auf- und umzubauen. Und es müssen inhaltliche Antworten auf die Probleme der Region gefunden werden, wenn das Anliegen langfristig Erfolg haben soll. Die Frage, wie das Leben auf dem Land in Zukunft aussehen kann, ist untrennbar mit dem Ziel einer klimagerechten Gesellschaft ver­bunden. Problemen des zukunftsfähigen Strukturwandels muss sich in den Bereichen der Mobilität, der Energie- und Güterversorgung und der Arbeit gestellt werden. Klar ist, dass jeder Kilometer Autobahn eine Investition in Infrastruktur ohne Zukunft ist, zumindest, wenn, wie Zoltán immer wieder sagt, „die Lebensgrundlagen global und vor Ort erhalten“ bleiben sollen. Nachhaltige Alternativen aus­zu­arbeiten, für deren praktische Umsetzung einzustehen und so den Dörfern eine Zukunft zu ermöglichen, in der sie mehr wären, als der etwas weniger urbanisierte Teil der Gesellschaft, könnten lohnende Aktivitätsfelder für die politische Linke insgesamt sein. Vor Ort gibt es jedenfalls jede Menge zu tun.

Anlaufpunkt für die Klimaaktivist_innen: der Bahnhof von Seehausen. Bild: Luca von Ludwig

Mit diesen Gedanken endet mein Tag, wie er anfing: Ich sitze vor einem eigentlich schon aufgegebenen Bahnhofsgebäude. Der verfallende Bahnhof von Osterburg steht für die politischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte, den Frust über die Abgehängtheit des Landes und weg­bröckelnde Infras­truktur. Der Bahnhof von Seehausen könnte zum Symbol für einen Wandel werden. Ob das zu schaffen ist, wird sich in der Praxis zeigen müssen.

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