Aufklärung. Versorgung. Forschung.

Demonstrationen der Initiative LiegendDemo bundesweit und in Halle

Am 10. Mai 2025 lagen Menschen in ganz Deutschland und in Halle auf dem Hallmarkt auf dem Boden – ein symbolischer Protestakt, mit dem sie für eine bessere Versorgungslage von Menschen mit der Krankheit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome) und mehr Forschung zu deren Ursachen sowie möglichen Therapien und Medikamenten demonstrierten.

Bei ME/CFS handelt es sich um eine komplexe neurologische Erkrankung. Betroffene (in Deutschland ca. 620.000 Menschen) leiden nicht nur unter chronischer Erschöpfung, Schmerzen und kognitiven Einschränkungen, sondern ebenso an der Psychologisierung und dem mangelnden Wissen über die Krankheit, selbst bei medizinischem Personal.

Eine Betroffene berichtet dazu: „Obwohl die Krankheit bereits 1934 erstmals in einem Krankenhaus mit mehreren betroffenen Patient*innen dokumentiert wurde und 1955 auch den Namen ME/CFS bekam, wurde und wird sie auch heute noch oft nicht als Krankheit mit physischen Ursachen ernst genommen und viele Mediziner*innen unterstellen Betroffenen Simulation oder eine rein psychische Erkrankung. Diese Fehldiagnose kann zu fatalen Folgen führen, da es in manchen Fällen lebensnotwendig ist, die individuellen Belastungsgrenzen der Patient*innen zu berücksichtigen. Jede Überlastung durch Bewegung, kognitive Anstrengungen, oder Überreizung durch Licht, Geräusche und Berührungen kann zu einer massiven Zustandsverschlechterung, der sog. PEM (Post Exertionellen Malaise) führen, aus der manche Erkrankte nie wieder herauskommen. Schwerstbetroffene liegen seit Jahren regungslos in einem abgedunkelten Zimmer mit Pflegestufe 5 und hoffen auf ein Medikament oder eine Therapie, die ihnen ihr altes Leben zurückbringt.

Genau mit dieser Hoffnung legten sich in Halle am 10. Mai etwa 50 Menschen, darunter aktuell und ehemalige Betroffene, deren Angehörige und Bekannte, aber auch Menschen, die sich mit ihnen solidarisch zeigen wollten, auf den Boden des Hallmarkts. Begleitet wurde die liegende Demonstration mit aufgenommenen Stimmen von Betroffenen, die ihre Gefühle und Wünsche beschrieben. Erschreckend waren dabei nicht nur die Berichte über die Schwere der Erkrankung und der damit verbundenen Einschränkungen, die dazu führen, dass ein Viertel der Betroffenen bettlägerig sind oder ihre Wohnung nicht verlassen können und drei Viertel arbeitsunfähig sind1. Auch die unzureichende medizinische Versorgungslage macht den von ME/CFS betroffenen Personen zu schaffen. Eine Diagnose erhielten viele erst nach Jahren, einige trotz eindeutiger Symptomatik bis heute nicht. So erzählte ein Betroffener, dass seine Ärztin ihm sagte, es gäbe keine Biomarker für ME/CFS, weshalb die Krankheit ja nur subjektiv sei und sie diese nicht diagnostizieren könne. Man fragt sich, ob diese Ärztin analog auch keine Depression diagnostizieren könnte. Weiterhin scheint ME/CFS trotz der verstärkten Aufmerksamkeit, welche die Krankheit in den letzten Jahren besonders im Zuge der Coronapandemie mit dem Auftreten von Long Covid und Post Vac erfahren hat, vielen Ärzt*innen noch immer kein Begriff zu sein. Diesbezüglich wurden neben mehr Weiterbildungsangeboten zum Thema auch die Einrichtung von Spezialzentren in Sachsen-Anhalt gefordert. Es gäbe zwar bisher ein Zentrum für Kinder- und Jugendliche in Magdeburg und eines für Erwachsene in Halle im Bergmannstrost, letzteres sei jedoch nur für Menschen, bei denen Long Covid als Berufserkrankung anerkannt sei, zugänglich und schließe somit einen Großteil der Betroffenen von einer gezielten und effektiven Versorgung aus.

Da die Krankheit vielen Betroffenen den Zugang zur öffentlichen Sphäre größtenteils verwehrt und sie gegen ihren Willen im Privaten festsetzt, war die Demonstration als explizit politischer Akt konzipiert und wurde auch erfolgreich als solcher angenommen. So legte sich der Behindertenbeauftragte der Stadt Halle, Toralf Fischer, spontan zu den Demonstrierenden und bot seine Unterstützung an. Anschließend meldeten sich Politiker*innen des Landtages Sachsen-Anhalt zu Wort. In den (inhaltlich und formell relativ austauschbaren) Redebeiträgen von CDU und FDP wurde von Mitgefühl mit den Betroffenen gesprochen, sowie davon, dass das Thema ja bereits im Landtag politisch bearbeitet würde.

Konkrete Maßnahmen mit Zeitplänen konnten sie jedoch nicht vorweisen. Lediglich die Aussage, dass bis zur Sommerpause ein runder Tisch stattfinden solle, wurde getroffen. Auch der Verweis darauf, dass es eine große Errungenschaft sei, dass das Thema ME/CFS auch Teil des Koalitionsvertrags wäre, löste keine großen Begeisterungsstürme aus. Einerseits, weil alleine eine Erwähnung im Koalitionsvertrag noch niemandem geholfen hat, andererseits, weil einige Demonstrationsteilnehmer*innen die Aussage sofort nachprüften und feststellten, dass es sich lediglich um den folgenden Satz handelt: „Wir fördern Forschung zu Frauengesundheit und postinfektiösen Erkrankungen (Long COVID,  ME/CFS und PostVac)“.2 Den Abgeordneten von CDU und FDP muss aber zumindest positiv angerechnet werden, dass Sie sich Zeit nahmen, an der Demonstration teilzunehmen, Fragen der Anwesenden zu beantworten und zumindest ein wenig ehrliches Interesse am Thema ME/CFS zeigten. Eine Abgeordnete der Linken konnte aus persönlichen Gründen leider nicht persönlich teilnehmen, sendete aber einen kämpferischen und solidarischen Redebeitrag, der mit viel Applaus quittiert wurde. Die auffällige, unerklärte Abwesenheit von Politiker*innen der SPD und der Grünen sorgte währenddessen unter den Demonstrierenden für viel Verwunderung und Unmut. Ob diese nur verhindert waren oder das Thema nicht für wichtig genug erachteten, um persönlich anwesend zu sein, blieb bis zum Ende der Demonstration unklar. Ebenso stellten einige Teilnehmende überrascht fest, dass es weder Polizeipräsenz noch durch diese bereitgestellte Absperrungen zum Schutz der Demonstration gab. Nicht, dass man großer Fan der Polizei sei und diese vermissen würde, hörte man es von einer Gruppe Demonstrierenden, aber dass eine Demo, aus deren Thema und Planung offensichtlich sei, dass sie zum größten Teil im Liegen und Sitzen abgehalten werden und dass eine größere Anzahl Menschen mit signifikanten körperlichen Einschränkungen teilnehmen würde, auf einem offenen Platz wie dem Hallmarkt, völlig ohne sogenannten staatlichen Schutz auskommen müsse, hinterlasse doch einen bitteren Geschmack. Retrospektiv auch insbesondere, da es auf den Liegend Demos anderer Städte wie Leipzig zu körperlichen Angriffen mutmaßlicher Coronaleugner (Gendern nicht erforderlich) kam.

Trotzdem zog eine von ME/CFS betroffene Teilnehmerin eine insgesamt positive Bilanz: „Es zeigt von Fortschritten des Aktionismus, dass das Thema ME/CFS nun in politischen Debatten angekommen ist und wir werden weiter dafür kämpfen, dass die von der Politik gemachten Versprechungen nicht leer bleiben!“.


  1. 2018 konnte aufgezeigt werden, dass ME/CFS Betroffene unter stärkeren leiden als beispielsweise von Multipler Sklerose Betroffene. Siehe Kingdon, Caroline C et al. „Functional Status and Well-Being in People with Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome Compared with People with Multiple Sclerosis and Healthy Controls.” PharmacoEconomics – open vol. 2,4 (2018): 381-392. ↩︎
  2. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 21. Legislaturperiode, Zeile 2537-2538. Abgerufen am 16.05.2025 unter www.koalitionsvertrag2025.de . ↩︎

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