Äthertäter im Realsozialismus

Über Piratenradios in der DDR

Piratenradios kratzten ab den 60er Jahren mit jugendlichem Selbstbewusstsein an der Autorität des realsozialistischen Rundfunks.

„Und nun bringen wir einen Hit von den Beatles. Und zwar haben wir hier Misery. Misery, geschrieben von Lennon und McCartney, spielen wir jetzt auf unseren Studiotisch an.“

Leipzig-Paunsdorf, 1967. Vier Jugendliche spielten die Musik, die im DDR-Rundfunk nicht zu hören war. Sie betrieben über Jahre den Piratensender SFP, den Sender Freies Paunsdorf. Ein solcher Piratensender – betrieben von Minderjährigen – widersprach den Vorstellungen der SED: Rundfunk war parteioffizielles Medium, mit ihm sollten die Massen paternalistisch erzogen werden. Rock’n’Roll wurde als primitiv und heimtückische Strategie der NATO diffamiert.

Wolfgang Siebedorn und drei weitere Leipziger Jugendfreunde verzichteten auf politische Themen, sendeten mit einer maximalen Reichweite von zwei Kilometern und ergriffen Vorsichtsmaßnahmen. Siebedorn: „Wenn wir das immer zur gleichen Zeit gemacht hätten, da wird man ja am Ende noch leichter entdeckt. Es wurde auch nicht viel erzählt. Man muss auch immer damit rechnen, dass das einer rumerzählt, da wäre das ganze Ding aufgeflogen, das wollten wir nun nicht riskieren.“ Die beim Sender Freies Paunsdorf gespielte Musik stammte von Mitschnitten westlicher Sender – auch vom namentlichen Vorbild: dem Sender Freies Berlin (SFB). Obwohl Wolfgang Siebedorn und seine drei Mitstreiter nicht nur westliche Sender hörten, sondern gleichzeitig eigenes Radioprogramm ausstrahlten, erfuhren sie keine juristischen Konsequenzen. Ihr Sender Freies Paunsdorf blieb unentdeckt.

Hard-Rock aus Wittenberg

Auch der Sender, den Volkmar Kruspig in Wittenberg Anfang der 70er Jahre betrieb, wurde nicht gefunden. Und das trotz Peilwagen direkt vor der Haustür: „Eines Tages hatten wir mal ein kleines Problem. Wittenberg war ja auch Garnisonsstadt, da waren ja russische Streitkräfte und diese hatten einen Ausweichkurierflugplatz, Luftlinie von meinem Sender vielleicht drei Kilometer. Wir müssen irgendwo auf eine Frequenz gekommen sein, wo die ihren Sprechfunkverkehr gemacht haben und ich kann mir gut vorstellen, dass die das nicht ganz nett fanden, dass da plötzlich Hard-Rock auftauchte auf dieser Frequenz. Und da schickten die ihren Peilwagen los“, fanden aber keinen Sender, weil Kruspig mit einem Luftgewehr die Isolatoren der Antenne vom Dach schoss. Diesem Zwischenspiel war eine Unzufriedenheit vorausgegangen. Volkmar Kruspig fragte sich, warum eigentlich kaum ein Lied seiner großen Plattensammlung im Radio der DDR zu hören war. Er änderte daran etwas, nutzte die Antenne auf dem Haus der Eltern und begann Deep Purple und andere Bands auf UKW erklingen zu lassen: „Wir hatten schon eine erstaunliche Reichweite, ich würde sagen so 70 Kilometer, wenn es gut war.“

Krautrock in Halle

Dem Rundfunk der DDR gelang es auch in den 70er Jahren nur selten jugendkulturelle Neuerung aufzunehmen oder sich auf die unterschiedlichsten Geschmacks- und Musikrichtungen einzulassen. Auch Götz Rubisch aus Halle war wenig begeistert vom Radioprogramm der DDR – zumindest verglichen zu einzelnen Musiksendungen auf HR3 oder Bayern3: „Rundfunk in der DDR war etwas, das kriegte man vorgeworfen. Zack, hier, nimm das und friss. Was dabei rum kam, war immer wieder dieses alt-väterlich Wohlwollende mit dem unausgesprochenen Anspruch: ‚Wir möchten, dass du so denkst wie wir, damit wir dich bei der Stange halten können‘. Das funktioniert, wenn es keine Alternativen gibt. Dann kann das gut gehen und wird dann auch in einer breiten Masse wahrscheinlich angenommen und als das normale betrachtet und etwas anderes wird wahrscheinlich gar nicht gedacht. Aber es gab eben den Vergleich mit dem Rundfunk, der aus der alten Bundesrepublik Deutschland herein strahlte.“

1976 legte ein Freund einen selbst gebastelten funktionierenden Sender auf den Tisch von Götz Rubisch. Wenig später waren kaum bekannte Krautrock-Songs in Halle auf dem UKW-Frequenzband zu hören – moderiert von Rubisch, gesendet aus seiner Wohnung. Doch nicht nur Radiogeräte wurden bespielt, auch der Fernsehempfang in Halle wurde durch das Piratenradio überlagert. Sehr zum Ärgernis einiger Nachbarn, die Rubisch unbeabsichtigt auch im Fernsehen hörten. „Die meisten Leute hatten sogenannte Antennenvorverstärker, um ihr schwaches Signal einigermaßen in den ersten Stock zu kriegen. Diese Antennenvorverstärker waren anfällig für Großsignale aus entfernten Frequenzbereichen. Großsignal ist das schon, wenn da ein Sender im Grundstück gegenüber auf der Straße losgeht, zum Beispiel. Man verursacht dann auf dem Sender nicht nur eklatante Bildstörung: Da siehst du dann gar nichts mehr und auf dem Tonkanal bist du zu hören. Das war das Problem. Dass da irgendjemand beim Westfernsehen gestört wurde, dann schnell auf die Idee kam: ‚Das ist aber jetzt illegalen Ursprungs und der klingt doch wie der, der dort drüben wohnt‘.”

Piratenradio: Tor zur Welt

Die genaue Anzahl der Piratenradios in der DDR ist heute nur noch schwer zu ermitteln. Doch die Radioaktivitäten von Wolfgang Siebedorn, von Volkmar Kruspig und Götz Rubisch zeigen, dass es solche Aktivitäten gegeben hat. Auch die Zahl der erreichten Hörer ist ungewiss. Es hat sie aber gegeben. So empfing Ralf Wendt Anfang der 80er Jahre aus Halle-Ammendorf ungewohntes auf dem UKW-Band: „Der hat die Musiker und die Bands, die er gespielt hat, vorgestellt – was die jetzt gerade gemacht haben und mit wem und so weiter. Der war da auch total fit. Dass man so dachte: ‚Krass, das ist ja ein toller Sender auf UKW‘. Dann haben wir das immer total gefeiert: Frank Zappa oder Talking Heads, was wir richtig gut fanden. Radio Freies Ammendorf, so nannte der das.“ Paunsdorf, Wittenberg, Halle-Ammendorf. Überall wurde mit jugendlichem Selbstbewusstsein an der Autorität des realsozialistischen Rundfunks gekratzt. Kruspig: „Für uns war das ein Tor zur Welt. Wir schauen nicht nur, wir hören nicht nur andere Sender, wir machen nicht mehr den klassischen Amateurfunk, sondern wir wollen der Welt auch was geben. Wir wollen auch mal raus, wir wollen nicht nur hören, sondern wir wollen auch schreien.“

Der Beitrag erschien erstmalig in der Radio Corax Programmzeitung Ausgabe August/ September 2019.

Ähnliche Beiträge