Abgehoben und lebensfern

Linke Politik braucht Empathie statt selbstgefälliger Abgrenzung

von | veröffentlicht am 29.07 2021

Beitragsbild: Transit

Die diesjährige Landtagswahl in Sachsen-Anhalt macht die Defizite einer parlamentarischen und gesellschaftlichen Linken deutlich, die mit denjenigen, deren Interessen sie zu vertreten vorgibt, kaum noch etwas anfangen kann. Nur eine empathische Linke wird ihren Niedergang abwenden können.




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Die Landtagswahl ist durch und das Ergebnis wenig überraschend – eine umfassende Strategiedebatte innerhalb der gesellschaftlichen Linken ist aber kaum zu vernehmen. Angesichts der offensichtlichen Niederlage der Partei Die Linke, aber auch der SPD ist das schon bemerkenswert.

Während die SPD mit ihrer Agenda- und Austeritätspolitik jegliches Vertrauen verspielt hat, konnte Die Linke die Enttäuschten kaum auffangen. Schlimmer noch: Die Linke erleidet seit 10 Jahren einen ähnlichen Vertrauensverlust. Mit einer Strategie als Partei der sozialen Bewegungen mag Die Linke in Westdeutschland erfolgreich sein, in Ostdeutschland hingegen gibt es da kaum jemanden zu repräsentieren. Hier ist die Zivilgesellschaft generell schwach aufgestellt und soziale Bewegungen wie FFF oder auch antifaschistischer Protest wird von den urbanen, akademischen und überwiegend westdeutsch geprägten Milieus getragen. Eine solche Strategie vergisst jedoch, dass politische Artikulation äußerst voraussetzungsvoll und deshalb für viele benachteiligte Milieus nur schwer möglich ist oder wenig zielführend erscheint. Das Heer der Unorganisierten bleibt links liegen, scheint sich nicht angesprochen zu fühlen. Ein Programm allein mobilisiert niemanden.

Urbanes Elitenprojekt

In Halle sieht man das an der Wahlbeteiligung: In Halle-Neustadt und Heide-Nord ist die Wahlbeteiligung landesweit am niedrigsten (Halle I; 52,4%), während sie in Giebichenstein, Paulusviertel und Nördliche Innenstadt am höchsten lag (Halle III; 72,6%).[1] Der Niedergang der Linken ist besonders tragisch, weil sie eine breite historisch gewachsene Verwurzelung im Osten hatte und diese offensichtlich nicht halten kann. Anders als SPD und Grüne, die aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung hervorgegangen sind und erst Wurzeln schlagen mussten, konnte die PDS (wie die Blockparteien CDU und FDP auch) auf ihr SED-Erbe aufbauen: Mitglieder, Strukturen, Immobilien. Auch wenn die Mitgliederzahlen dramatisch sanken,[2] konnte die PDS mit ihrem Widerstand gegen Treuhand und Agenda2010 ihre Zustimmung ausbauen. Innerhalb der letzten 10 Jahre allerdings hat sich diese Zustimmung halbiert. Dabei nähert sich die Wähler*innenstruktur der Linken immer weiter an die der Grünen an: schwach unter Arbeiter*innen, stark unter Akademiker*innen.[3]

Es verdichten sich die Anzeichen, dass die gesellschaftliche Linke für formal weniger Gebildete und Arbeiter*innen wie Angestellte nicht mehr als emanzipatorische Kraft angesehen wird, sondern als urbanes Elitenprojekt. Abgehoben, lebensfern. Erneut nach 2016 verliert die Linke wieder an die AfD (als einzige Partei diesmal) und stark an die CDU. Von den 40% Nichtwähler*innen, die meist ebenfalls formal weniger gebildet sind und geringere Einkommen haben, ganz zu schweigen.[4] Sowohl der Linken als auch der SPD wird kaum noch zugetraut, dass sie für ostdeutsche Interessen und soziale Gerechtigkeit einstehen, dass sich mit ihnen das alltägliche Leben verbessert. Woran hat’s jelechen?

Es braucht keine vollumfängliche Analyse, um einen grundlegenden Fakt zu erkennen: Das Personal der linken Parteien speist sich zunehmend aus einem Milieu, das sich (insbesondere in Halle) in die hübschen Gründerzeitviertel zurückzieht und den lebensweltlichen Bezug zu den Menschen verliert, für die sie sich einzusetzen vorgibt.

Langfristiges Vertrauen aufbauen

Das Soziale oder Klasse wird immer mitgedacht und dennoch trifft man in diesem Milieu eine mehr oder weniger subtile Abneigung gegen die Mitgedachten. Ob man sich über prollige Männlichkeit, überforderte Mütter, Hang zum Patriotismus oder die spießige Schrebergartenmentalität echauffiert: der Wunsch nach Emanzipation ist immer auch mit einer gewissen Verachtung dieser Lebensentwürfe und dem starken Drang nach Abgrenzung verbunden. Anstatt darin die Zurichtung der kapitalistischen Arbeitswelt oder die Sehnsucht nach Zusammenhalt oder Selbstwirksamkeit zu sehen, möchte man lieber darin den Vorschein des Faschismus erkennen. Eine solche snobistische Mittelstandslinke kann nicht über ihren Schatten springen: Für sie riecht die Unterschicht immer noch.

Stattdessen müssen wir uns als gesellschaftliche Linke überlegen, wie wir wieder langfristig Vertrauen in diese Milieus aufbauen können, von denen wir uns abgewandt oder die wir teilweise auch hinter uns gelassen haben. Ohne alltäglichen Kontakt oder neue Nachbarschaft wird das nicht gelingen. Eine gesellschaftliche wie parteipolitische Linke mit lebensweltlicher Relevanz muss aber auch wieder diejenigen organisieren, die es aus eigener Kraft nicht schaffen. Dafür braucht es eine empathische Linke anstatt eines erbarmungslosen Rigorismus.


[1] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/landtagswahl/daten-zahlen-wahlabend100.html#sprung0 Im Detail ist der Unterschied noch größer: In Halle-Neustadt und Heide-Nord wählten weniger als die Hälfte, in der Silberhöhe wählte sogar nur ein Drittel. In Giebichenstein, Paulusviertel und den Eigenheimgebieten waren es hingegen fast 80%. https://wahlergebnisse.halle.de/LTW2021/ergebnisse_gemeinde_15002000.html

[2] 1991 hatten PDS und CDU in Sachsen-Anhalt jeweils etwa 22.000 Mitglieder, heute hat Die Linke mit ungefähr 3.000 Mitgliedern etwa so viele wie die SPD, aber nur noch halb so viele wie die CDU. https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/team/ehemalige/Publikationen/schriften/Arbeitshefte/index.html

[3] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/wahlanalyse-landtagswahl-sachsen-anhalt-100.html?slide=A285

[4] Güllner, M. (2013): Nichtwähler in Deutschland, S. 19; http://library.fes.de/pdf-files/dialog/10076.pdf

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.